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ROUNDUP 2: Fischsterben in der Oder - die Hintergründe geben noch Rätsel auf

12.08.2022
um 16:42 Uhr

SCHWEDT/POTSDAM (dpa-AFX) - Tausende Fische sind in den vergangenen Tagen in der Oder gestorben - noch immer lässt sich nicht genau sagen, warum. Die Folgen werden nach Einschätzung von Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel noch lange zu spüren sein. "Für die Oder als ökologisch wertvolles Gewässer ist das ein Schlag, von dem sie sich mehrere Jahre vermutlich nicht mehr erholen wird", sagte der Grünen-Politiker am Freitag in Schwedt bei einem Besuch in der Region. Die Fischbestände müssten erst langsam neu aufgebaut werden.

Das Massensterben der Fische gibt weiter Rätsel auf. "Unser Problem ist, dass wir nach wie vor im Dunkeln tappen, dass wir also nicht wissen, welche Stoffe tatsächlich in die Oder eingebracht wurden", sagte Vogel. "Wir haben Hinweise von polnischer Seite, dass um den 28. Juli bei Oppeln, also in der Nähe von Breslau, Stoffe in die Oder gelangten, die dort ein Fischsterben ausgelöst haben."

Vogel bestätigte, dass eine Quecksilberbelastung der Oder festgestellt worden sei - "aber wir können zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussage treffen, dass Quecksilber ursächlich für den Tod der Fische verantwortlich ist", sagte er. "Wir wissen im Moment nicht, woran sie wirklich gestorben sind."

Möglich sei eine Kombination von mehreren Faktoren wie Hitze, geringe Wasserführung und Giftstoffen. "Es kann durchaus sein, dass es sich hierbei um Stoffe handelt, die lange schon in die Oder eingebracht wurden, aber normalerweise bei Mittelwasser überhaupt kein Problem darstellen", sagte Vogel. Aktuell gebe es aber historische Niedrigwasserstände an der Oder.

Solche geringen Wassermengen führten dazu, dass jeder Stoff im Wasser in einer höheren Konzentration vorliege. Von daher könne es durchaus sein, dass Stoffe, die normalerweise in der Dosierung nicht so gravierend seien, jetzt durch die erhöhte Dosis gefährlich würden. Es sei inzwischen geklärt, dass Fische auch in Deutschland sterben würden und nicht nur verendete Tiere aus Polen angeschwemmt worden seien, sagte der Umweltminister.

Naturschützer gehen von weitreichenden Folgen für den Nationalpark Unteres Odertal aus. "Die Auswirkungen sind einfach furchtbar", sagte der stellvertretende Nationalparkleiter Michael Tautenhahn der Deutschen Presse-Agentur. "Für den Nationalpark ist das schlichtweg eine Katastrophe." Die Vergiftungswelle sei komplett durch die Oder gegangen. Über die gesamte Strombreite habe man tote Fische treiben sehen. Betroffen seien etwa Zander, Welse, Gründlinge und Steinbeißer. Seeadler und andere Vögel könnten Gift durch die toten Fische aufnehmen. Der Nationalpark Unteres Odertal zählt zu den artenreichsten Lebensräumen in Deutschland.

Inzwischen gibt es an den polnischen Behörden zunehmend Kritik. Das Bundesumweltministerium beklagte ein Versagen der bei solchen Ereignissen üblichen Meldekette. "Tatsächlich wissen wir, dass diese Meldekette, die für solche Fälle vorgesehen ist, nicht funktioniert hat", sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums am Freitag in Berlin. Gemeint ist das frühzeitige Melden des Fischsterbens auf der polnischen Seite.

Das Bundesumweltministerium erklärte, derzeit im Austausch mit der polnischen Regierung, dem dortigen Infrastrukturministerium und der polnischen Botschaft zu stehen, "um eben tatsächlich möglichst schnell Klarheit zu bringen", sagte der Ministeriumssprecher. Auch mit den Brandenburger Behörden, die in erster Linie für die Aufarbeitung zuständig seien, stehe das Haus von Steffi Lemke (Grüne) in Kontakt. "Wir brauchen jetzt Klarheit über die Stoffe, die dort tatsächlich im Wasser sind." Bislang stünden die Behörden noch vor einem "unvollständigen Bild".

Nach Angaben der polnischen Umweltschutzbehörde wurde das Fischsterben wahrscheinlich von einer Wasserverschmutzung durch die Industrie ausgelöst. Polen wird die Untersuchungsergebnisse von massenweise verendeten Fischen aus der Oder aber frühestens am Sonntag vorlegen können. Bislang habe das Staatliche Forschungsinstitut in Pulawy noch keine Fische erhalten, sagte der Leiter Krzysztof Niemczuk am Freitag der Nachrichtenagentur PAP.

Die Fische sollen auf Metalle, Pestizide und andere giftige Stoffe untersucht werden. "Es gibt so viele Substanzen, die das Fischsterben verursacht haben könnten, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen können, was die Ursache sein könnte", sagte Niemczuk.

Die Verursacher des Fischsterbens in der Oder müssen nach Einschätzung des Naturschutzbunds (Nabu) in Brandenburg zur Rechenschaft gezogen werden. Das Fischsterben an der Oder zeige, wie wichtig die konsequente Überwachung von Umweltauflagen sei, teilte der Nabu-Landesverband am Freitag in Potsdam mit. Auf polnischer Seite sei das offenbar vernachlässigt worden. Dadurch würden nun weite Teile der Oder und ihres Umfeldes gefährdet.

Die Landrätin des Kreises Uckermark, Karina Dörk, sagte am Freitag, das Gebiet entlang der Oder werde mit Drohnen überflogen, um zu sehen, wie sich das Fischsterben weiter entwickle. Für diesen Samstag sei auf deutscher Seite ein Einsatz zum Einsammeln der toten Fische geplant.

Zuletzt haben neben der Einleitung von Giftstoffen in Flüsse und Seen teils auch natürliche Ursachen wie Sauerstoffmangel zu größeren Fischsterben in Deutschland geführt - wie etwa diesen Sommer in der Elbe rund um Hamburg oder in der Kleinen Vils (Bayern).

Im Kleinen und Großen Jasmunder Bodden auf der Ostsee-Insel Rügen waren im Winter viele Tonnen an Fischen verendet. Die Ursache dafür konnte nicht geklärt werden. Die Suche nach einem unbekannten Schadstoff ist nach Angaben des mecklenburgischen Landwirtschaftsministeriums erfolglos geblieben.

Im Frühjahr 2021 war es nach einem Brand in einer belgischen Biogasanlage zu einem massiven Fischsterben im Fluss Attert im benachbarten Luxemburg gekommen. Dem örtlichen Sportfischerverband zufolge waren große Mengen Biomassenabwasser in den Fluss gelangt./dhe/DP/stw