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06.10.2022
um 20:20 Uhr

Bewertungskapriolen / Kommentar zur Börsenbewertung von Porsche von
Stefan Kroneck
Frankfurt (ots) - In Zeiten wie diesen wird Anlegern in Bezug auf
Marktbewertungen einiges abverlangt. Die wachsende Unsicherheit an den Börsen
wegen des eskalierten Ukraine-Kriegs, eine galoppierende Inflation, die
Energiekrise und zunehmende geopolitische Spannungen sorgen für erhöhte
Volatilitäten an den Kapitalmärkten. In diesem angespannten Umfeld nehmen die
Risiken für Anleger zu, während die Bewertungen in manchen Segmenten Kapriolen
schlagen.

Beispiel Autoindustrie: Am Donnerstag wurde auf dem Kurszettel erstmals amtlich,
was sich bereits in den Tagen zuvor abgezeichnet hat: Der Börsenneuling Porsche
AG bringt eine Woche nach seinem IPO mit fast 83 Mrd. Euro mehr auf die Waage
als der Mutterkonzern Volkswagen AG mit knapp 79 Mrd. Euro.

Auf den ersten Blick ist das ein Irrsinn. Die Zahlen implizieren, dass
Investoren dem Sportwagenbauer aus Stuttgart-Zuffenhausen am Markt rund 4 Mrd.
Euro mehr zubilligen als den übrigen Marken des Wolfsburger Dax-Riesen zusammen
- inklusive des verbliebenen Anteils an Porsche. Der zweitgrößte Autohersteller
der Welt nach Branchenprimus Toyota gerät gegenüber dem deutlich kleineren
Anbieter im Luxussegment an der Börse ins Hintertreffen, obgleich die
Niedersachsen die schwäbische Edelschmiede auch nach deren erfolgreichem
Börsen-Comeback weiterhin vollständig konsolidieren.

Denn in Bezug auf die stimmberechtigten Stammaktien hält VW 75% an der Porsche
AG, die von der österreichisch-deutschen Unternehmerfamilie Porsche-Piëch
dominierte Beteiligungsholding Porsche SE verfügt künftig mit 25% und einer
Aktie über eine Sperrminorität. Inklusive der stimmrechtslosen Vorzugspapiere
werden nur 12,5% des gesamten Aktienkapitals der Porsche AG an der Börse
gehandelt. Zugleich kontrolliert der Familienverbund mit seinen beiden
Kernzweigen über 53% der Stimmrechte an der Volkswagen AG. Mit anderen Worten
kann es den Protagonisten des Clans eigentlich egal sein, ob die Porsche AG der
Muttergesellschaft an der Börse die Rücklichter zeigt oder nicht. Die Familie
Porsche-Piëch ist und bleibt "Gewinner" der Bewertungskapriolen.

Seit ihrer Erstnotiz am 29. September hat die Porsche-Vorzugsaktie 10% zugelegt,
während die gleiche Aktiengattung von VW 5% eingebüßt hat. Mit der aktuellen
Marktbewertung erreicht die Porsche AG eine Größenordnung, die Analysten dem
legendären Unternehmen zugetraut hätten, wenn man den Ukraine-Krieg ausklammern
würde. Doch in dem Ausgabepreis von 82,50 Euro je Titel sind die Risiken infolge
des Angriffskriegs von Russland sogar mit eingeflossen. Ungeachtet der Folgen
des militärischen Konflikts gilt offenbar: Die Marke Porsche zieht bei den
Anlegern. Vor diesem Hintergrund war das größte IPO in Deutschland seit dem
Börsengang der Telekom (1996) tatsächlich eine Ausnahme, kein Eisbrecher.

Auf den zweiten Blick hat die Bewertungskapriole auch fundamentale Gründe: In
Zeiten multipler Krisen sind operativ erfolgreiche und hochprofitable
Luxusautobauer krisenresistenter als Volumenhersteller wie VW, die stärker von
Wirtschaftszyklen abhängig sind. Das trägt auch einen Zynismus in sich: Gerade
in Zeiten wachsender wirtschaftlicher Nöte haben Luxuswagen Hochkonjunktur.

(Börsen-Zeitung, 07.10.2022)

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