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07.12.2022
um 19:37 Uhr

Erleichtert, aber verunsichert, Kommentar zu Chinas Covid-Kurs von
Norbert Hellmann
Frankfurt (ots) - Der Erlass einer unverschuldeten Gefängnisstrafe, die nie
hätte passieren dürfen, versetzt die Befreiten selten in überschäumende
Partylaune und grenzenlosen Optimismus. Eher überwiegen Gefühle der
Erleichterung wie auch Verbitterung, während der Blick erst recht unsicher
wirkenden Zukunftsperspektiven gilt. Am Mittwoch hat die chinesische Bevölkerung
erfahren dürfen, dass die härtesten Sperrmaßnahmen und Restriktionen der
berüchtigten Null-Covid-Politik auf dem Scheiterhaufen der Geschichte gelandet
sind.

Drei Maßnahmen stechen besonders hervor: Der Abschied vom Lockdown ganzer
Städte, dessen zeitliche Ausdehnung vom Erreichen der magischen Null bei den
Neuansteckungen abhing. Der Verzicht auf Zwangseinweisung in Quarantänelager für
tatsächlich Angesteckte sowie ihre (nicht angesteckten) Kontaktpersonen. Und der
Verzicht auf ein permanentes Massentestregime, das die Teilnahme am öffentlichen
Leben von einem stetigen "Nichtansteckungsbeweis" abhängig macht. Mit Letzterem
erübrigt sich nun auch der Großteil von Mobilitätshindernissen und Restriktionen
für Reisen in andere Provinzen.

Für Chinas Bürger heißt dies, dass ihre Bewegungsmöglichkeiten,
Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen nicht mehr in erster Linie von den
Irrungen und Wirrungen eines weder gesundheits- noch wirtschaftspolitisch
sinnvollen und für soziale Wesen sowieso völlig inakzeptablen
Corona-Kontrollregime bestimmt und kompromittiert werden.

Die Reaktion auf die beste aller Null-Covid-Lockerungsnachrichten der letzten
Wochen ist dementsprechend ausgefallen. Keine Partylaune, aber grenzenlose
Erleichterung darüber, dass eine normale Lebensführung im Land des weltgrößten
Nachzüglers in Sachen Corona-Pragmatismus wieder möglich sein soll. Jede Menge
Verbitterung über die von zig Millionen Menschen erlittenen Strapazen und
teilweise grauenvollen Erfahrungen mit der Durchsetzung von Restriktionen.
Hinter diesen stand nie ein gesundheitspolitisch schlüssiges Konzept, sondern
ein ideologiegetriebenes Parteidiktat, das auf blinden Gehorsam setzt und einen
kritischen Dialog über die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen nicht nur unterbindet,
sondern be­straft.

Aus der Flut an Kommentaren, die am Mittwoch durch Chinas soziale Netze
ge­schwappt sind, kristallisiert sich eine ziemlich uniforme Botschaft heraus,
die gleichzeitig Erleichterung und Ratlosigkeit signalisiert: "Endlich Schluss
mit diesem absurden Theater. Die eigentlichen Probleme fangen nun erst an."
Gemeint ist die große offene Frage, welchen tatsächlichen Gesundheitsrisiken und
damit auch wirtschaftlichen Beeinträchtigungen nun eine Bevölkerung unterliegt,
der vom Staat eingebläut wurde, dass alle Nebeneffekte des drakonischen
Corona-Regimes nichts gegen die Verwüstung des Omikron-Virus sind. Nun rudert
man zurück und beruft sich auf "allerneueste wissenschaftliche Erkenntnisse" zur
verminderten Gefährlichkeit von Omikron. Dass sie zeitgleich mit den
denkwürdigen Straßenprotesten vom Novemberende nach Peking durchgedrungen sind,
spricht Bände. Und wenig spricht dafür, dass der Staat nun tatsächlich gewappnet
ist, echten gesundheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden.

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