Reuters

Deutschland und China - Das Ende der "Wattebäusche"

02.11.2016
um 09:29 Uhr

- von Gernot Heller

Peking (Reuters) - Zwischen Deutschland und China knirscht es.

Die beiden globalen Wirtschaftsmächte, die über Jahre trotz mancher politischer Irritationen wirtschaftlich eng zusammenarbeiteten und dabei eine veritable gegenseitige Abhängigkeit schufen, haben massive Beziehungsprobleme.

Beim Besuch von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Peking trat das nun überdeutlich zu Tage: als der Deutsche seinen chinesischen Kollegen, Handelsminister Gao Hucheng, am Dienstag traf, rummste er. Von einer "brutalen Offenheit", berichtete danach Zeugen der Unterredung. "Die Zeit, in der bei Konflikten mit Wattebäuschen geworfen wurde, ist endgültig vorbei", erzählte ein Teilnehmer. "Da wurde so richtig Tacheles geredet", sagte ein anderer, der die deutsch-chinesische Runde miterlebt hatte.

Gabriel selbst konnte die Aufregung nicht verstehen. Er, der generell nicht zu diplomatischer Zurückhaltung neigt und lieber Klartext redet, wertete die deutlichen Worte eher als ein Zeichen dafür, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern belastbar seien, um auch das auszuhalten. Die Frage, ob die Beziehungen kühler geworden seien, regt ihn aber auf: "Was heißt kühler? Wir haben unterschiedliche Interessen. Es nützt ja nichts, so zu tun, als gebe es keine Probleme", entgegnet er etwas unwirsch. "Wir machen das in großer Freundschaftlichkeit." Das ändere nichts daran, dass man von den Chinesen fordere, ihre Investitionsbedingungen für deutsche und ausländische Firmen nicht zu verschlechtern.

INZWISCHEN ECHTE KONKURRENTEN

Dass es zwischen den beiden Regierungen und Ländern, die jährlich für mehr als 160 Milliarden Euro Güter austauschen, momentan so schwierig ist, hat mehrere Gründe. Hubert Lienhard, der Chef der deutschen Asien-Wirtschaft, die im Asien-Pazifik-Ausschuss zusammengeschlossen ist, merkte vor Gabriels China-Mission an: Wenn es wirtschaftlich schwieriger wird, wie das in China momentan der Fall ist, wenn das Wachstum nicht mehr so läuft, wie in der Vergangenheit, dann wirkt sich das meist auf die Wirtschaftsbeziehungen aus. Dann treten die Schwächen deutlicher zutage. Lienhard allerdings, wie andere aus dem Wirtschaftslager, setzen anders als Gabriel darauf, den Streit nicht zu übertreiben, warnen vor allem vor gesetzlichen Verschärfungen in Deutschland und Europa, um chinesische und andere ausländische Investoren besser abwehren zu können.

Der womöglich wichtigste Punkt, den Gabriel selbst am Abend in Peking bei einem Empfang in der deutschen Botschaft bemüht, ist: Beide Länder sind inzwischen zu echten Konkurrenten in der Welt auf Augenhöhe herangewachsen. Über das Stadium, als Werkbank mit billigen Arbeitsplätzen, die Tausende von deutschen und anderen ausländischen Firmen in den vergangenen Jahrzehnten anlockte, ist China, die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft, längst herausgewachsen. Das Land hat sich vorgenommen, in vielen zukunftsträchtigen, anspruchsvollen Technologiefeldern, in den nächsten Jahren die weltweite Spitze zu übernehmen. Und da sind die Konkurrenten eben nicht andere Billiglohn-Länder, sondern die weltweiten Technologieführer wie Deutschland oder die USA.

EIN BRUCH ZWISCHEN DEN PARTNERN IST NICHT ZWANGSLÄUFIG

Das müsse nicht zwangsläufig zu einem Bruch der beiden langjährigen Wirtschaftspartner Deutschland und China führen, sagte Gabriel. Wenn die Deutschen es richtig anfingen, könnten sie als der Industrieausrüster der Welt sogar mit neuen Geschäften von dem neuen Weg des Reichs der Mitte profitieren. Aber, und auch das ist Gabriel klar und zeigt sich jetzt bei seinem Besuch in China: Das führt auch zu Konflikten, denn immer häufiger geraten sich die beiden ins Gehege. Da werfen die Chinesen den Deutschen und Europäern vor, Zukäufe chinesischer Firmen mit unlauteren Mitteln zu bremsen, protektionistisch zu handeln.

Andererseits wird die Liste an Klagen, die Gabriel und die deutschen Wirtschaftsunternehmen äußern, immer länger. Dass deutsche Firmen in China keine chinesische Unternehmen übernehmen können, dass sie bei Ausschreibungen ausgeschlossen werden, ihnen technologisches Wissen zwangsweise über Gemeinschaftsfirmen in China mit einheimischen Unternehmen entzogen werden, all das gehört dazu. Eines aber fällt Gabriel ganz besonders auf: China hat offenbar eine industriepolitische Strategie für die nächsten Jahre, wie es seine Firmen gezielt in die Weltspitze bringen will. Europa, das beklagt der deutsche Minister, hat dagegen eine solche Strategie nicht. Mit Kanzlerin Angela Merkel, so sagte der Sozialdemokrat daher, habe er schon abgesprochen, dass man das ändern müsse - dringend. Und die Deutschen müssten da eben, mit dem ein oder anderen Partner zusammen, in Europa Tempo machen hin zu einer zukunftsträchtigen eigenen industriepolitischen Strategie.

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