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HINTERGRUND-Politik und Start-ups - Nach dem Hype der Trump-Effekt?

12.02.2017
um 10:41 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Zeit ist alles im Leben einer Kanzlerin. Wenn sich Angela Merkel also eine halbe Stunde nimmt, um im zweiten Hinterhof in der Berliner Torstraße in den zweiten Stock zu gehen, geschieht dies nicht ohne Hintergedanken.

Denn dort sitzt mit door2door ein gar nicht mehr ganz kleines Berliner Start-up-Unternehmen, das gerade die Mobilität in den Städten weltweit revolutionieren will. Und im Wahljahr richtet sich der Blick der Politik wieder verstärkt auf Gründer - gerade bei Merkel, die schon vor vier Jahren die Digitalisierung zum Überlebensthema des Industriestandorts Deutschland erklärte. Bei einem Treffen mit 40 Start-up-Vertretern erkundigte sie sich vor einigen Tagen deshalb gleich noch über deren Sorgen und Wünsche.

Die neue Aufmerksamkeit hat verschiedene Gründe - die in Washington und in Deutschland selbst liegen. "Ganz klar: US-Präsident Donald Trump ist eine Riesenchance für die Start-up-Szene in Deutschland", meint etwa Lars Klingbeil, Digital-Experte der SPD-Bundestagsfraktion. Gerade die jungen innovativen Unternehmen suchten kreative Mitarbeiter aus aller Welt. Trumps Abschottungsideen und Einreisebeschränkungen seien deshalb Gift für Silicon Valley. "Deutschland dagegen bietet Liberalität, Stabilität und die Verlässlichkeit, dass dies auch so bleiben wird." Sein CDU-Kollege Thomas Jarzombek sieht dies ähnlich.

Ein Trump-Effekt wäre derzeit in der Branche auch willkommen: Denn der Start-up-Hype etwa in Berlin lässt gerade etwas nach. So listete die Unternehmensberatung Ernst & Young gerade auf, dass der Standort Berlin 2016 im europäischen Vergleich beim Einwerben von Wagniskapital für Start-ups nur noch an vierter Stelle lag – hinter London, Paris und Stockholm. Und laut einer Studie der HHL Leipzig Graduate School of Management lässt der ohnehin schwache Gründerimpuls sicherheitssehnsüchtiger Deutscher in Zeiten sinkender Arbeitslosigkeit nach.

Dabei hatte sich die große Koalition vorgenommen, die Szene mit besseren Finanzierungsvorschriften und neuen Beteiligungsfonds anzuschieben - was nach Expertenmeinung auch für Wachstum sorgte. "Nur holen neben Berlin derzeit eben auch Städte wie München oder Hamburg stark auf", betont deshalb auch Jarzombek. In Berlin allerdings bildet sich langsam ein Schwerpunkt für junge Firmen, die sich alle mit Mobilität beschäftigen.

Das erklärt auch das Interesse Merkels an door2door. Letztlich versucht das Start-up mit seinen 60 Mitarbeitern aus 30 Ländern genau das, was die Kanzlerin seit langem anmahnt: Es analysiert in großem Maßstab Mobilitäts-Daten, um intelligente neue Produkte zu entwickeln. Am Ende, so erklärt Firmenchef Maxim Nohroudi, könnte eine "smarte" Verkehrssteuerung dafür sorgen, dass Kundenwünsche mit weniger Fahrzeugen besser bedient werden - weshalb man städtische Verkehrsgesellschaften als Kunden im Blick hat. Der Kunde wiederum erhält auf einen Blick einen Überblick über alle verfügbaren Verkehrswege und -mittel zu einem Ziel - inklusive Zeitaufwand und Kosten.

Was einfach klingt, ist indes im engen gesetzlichen Korsett in Deutschland gar nicht so leicht zu verwirklichen. Denn nicht nur der US-Riese Uber scheiterte bisher am deutschen Personenbeförderungsgesetz, das Grenzen für bezahlte Fahrten setzt. door2door muss sich mühsam Daten aus verschiedenen Quellen zusammensammeln, um überhaupt die Verkehrströme in der Stadt analysieren zu können. Dabei hatte auch die Kanzlerin in den vergangenen Monaten mehrfach angemahnt, dass gerade "big data" aktiv genutzt werden müsse, um neue Produkte zu entwickeln. Sonst drohten die stolzen deutschen Konzerne am Ende zur reinen "Werkbank" amerikanischer IT-Riesen zu mutieren, die genauer wüssten, was die Kunden wünschen.

WUNSCHLISTE AN POLITIK - UND INDUSTRIE

Deshalb gilt die Lockerung störender gesetzlicher Rahmenbedingungen für Start-ups als Aufgabe für die nächste Legislaturperiode. "Ich halte nichts von einem gesetzlichen Protektionismus", meint jedenfalls CDU-Mann Jarzombek zum Argument, dass sich kleine Start-ups im Schutzraum vor US-Riesen besser entwickeln könnten. Der Geschäftsführer von door2door, Tom Kirschbaum, mahnte aber auch weitere steuerliche Erleichterungen für Wagniskapital an: "Die Rahmenbedingungen sollten so angepasst werden, dass nicht nur homöopathische Investitionssummen möglich sind, sondern auch richtige Beträge einfließen können."

Er kritisiert zudem ein Mentalitätsproblem auch in der Wirtschaft. "Deutsche Konzerne sind einfach sehr zurückhaltend, sie geben lieber Milliarden für eigene Entwicklungsabteilungen aus als strategisch in Start-ups zu investieren", erklärt Kirschbaum die zurückhaltenden Investitionen der Dax-Konzerne. Von der Politik wiederum fordert er eine Bündelung der Kompetenzen für Digitales. "Die Zuständigkeit sollte an der Spitze der Bundesregierung liegen oder zumindest im Kanzleramt angesiedelt werden."In einem scheinen sich alle einig: "Das größte Problem ist derzeit, überhaupt noch Software-Entwickler zu finden", sagt Jarzombek nach Gesprächen mit Start-ups, die händeringend qualifiziertes Personal suchen. Deshalb müssten viel mehr Entwickler in Deutschland ausgebildet und auch mehr ins Land gelassen werden. In beiden Bereichen sei mehr Flexibilität nötig. Die deutsche Blue-Card-Regelung, die Hochschulabschluss, Mindesteinkommen und feste Job-Zusage für die Zuwanderung ausländischer Digital-Experten fordert, halten sowohl Jarzombek als auch Klingbeil für völlig realitätsfremd - und für den größten Unterschied zum Silicon Valley: "Viele der großen amerikanischen IT-Pioniere haben gar keinen Hochschulabschluss", meint Jarzombek trocken.

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