Reuters

Begehbares Programm - Merkel und der "Puls der Wirtschaft"

18.08.2017
um 17:16 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Vor dem riesigen roten Herz, das hinter ihr von der Decke hängt und den Raum dominiert, wirkt Angela Merkel ganz klein.

Aber der Effekt ist sogar erwünscht, als die CDU-Chefin am Freitag in der Berliner Brunnenstraße das erste "begehbare Wahlprogramm" vorstellt. Schließlich will die Union in dem rohen Backsteinbau, in dem normalerweise Modeshows abgehalten oder neue Hightech-Produkte vorgestellt werden vor, Besucher vor allem beeindrucken: Bis zum Wahltag am 24. September will sich die Partei hier ein Start-Up- und Technologie-Image verpassen. Rechts vom Eingang schreiben deshalb zwei Roboter kleine Zettel mit Wünschen der Besucher und kleben sie anschließend an das Fenster.

In der Mitte macht Merkel ein zufriedenes Gesicht, als sie auf zwei riesige, elektronische Infowände deutet, die mit einer Fülle von Wirtschaftsdaten eine rosige Bilanz ihrer zwölfjährigen Kanzlerschaft zeigen sollen. "Wir haben die Zahlen mehrfach geprüft. Aber wenn Sie noch Fehler finden - melden Sie sich", scherzt sie bei Eröffnung des Hauses.

Die Grundidee ist dabei, dass vom Zentrum - dem "pulsierenden Herzen der deutschen Wirtschaft" (CDU-Generalsekretär Peter Tauber) - Verbindungen zu allen möglichen Themen-Räumen abgehen. "Schließlich sind wir die Partei, die nicht nur über Verteilen, sondern auch das Erwirtschaften redet", erklärt Merkel und führt die Journalisten wie eine stolze Hausherrin durch das Gebäude in den aus Umzugskartons gebauten Familien-Raum. "Hier soll erfahrbarer werden, was es heißt, wenn wir ein Baukindergeld einführen wollen." Also rückt Merkel ein wenig zur Seite und lässt Tauber ein Familienporträt abhängen. Dann öffnet der CDU-Generalsekretär den dahinter zum Vorschein kommenden Safe, in dem tatsächlich ein Bündel (Spiel-)Geld liegt - nach der jeweiligen Kinderzahl errechnet.

Das "begehbare Programm" wirkt dabei wie eine Miniversion der Technologiemuseen, die in den vergangenen Jahren an verschiedenen Orten entstanden sind - viel Technik, hoher und sicher teurer Materialeinsatz, über den die CDU Stillschweigen wahrt, und viele Mitmachmöglichkeiten. Aber Merkel stört das sichtlich nicht. "Wir wissen, dass sich die Begeisterung, Programme zu lesen, in Grenzen hält", erklärt sie die Grundidee. Also musste die für den Wahlkampf angeheuerte Agentur Jung von Matt eine neue Idee suchen, um die Botschaften gerade an junge Wähler zu bringen.

Dann zieht Merkel schon weiter, vorbei am Thema Cyber-Kriminalität hin in einen dunklen Raum mit Sternenhimmel, der das Thema Europa erfahrbarer machen soll. Die CDU-Chefin tippt ihren Namen auf dem Bildschirm ein und wählt dann unter 20 Begriffen zum Thema Europa den der "Freiheit": Prompt wird ihr Name zusammen mit dem Wort "Freiheit" in den Himmel projiziert. Weil Merkel bei der Präsentation selbst merkt, dass sich der Sinn nicht automatisch erschließt, erklärt sie vorsichtshalber den pädagogischen Ansatz: "Das soll Emotionen wecken, damit man merkt - man gehört dazu, ist Teil des gemeinsamen europäischen Himmels", sagt sie und zieht schon wieder weiter. Schließlich will sie noch durch die Geschäfte auf der anderen Straßenseite tingeln und sich quasi als neuer Nachbar vorstellen - auch wenn das Gastspiel nur bis zum 24. September dauert. Bis dahin allerdings sollen dort auch die CDU-Führungsgremien tagen.

Doch so stolz Merkel auf den neuen Anlaufpunkt mit Start-Up-Image auch ist: Um die Wahlkampf-Überraschung zu präsentieren, hat die CDU wegen des Anschlags in Spanien einen denkbar ungünstigen Tag erwischt. Merkel selbst betont, dass sie mit den anderen Parteien für die kommenden zwei Tage einen abgespeckten, ruhigen Wahlkampf vereinbart habe. Deshalb bleibt auch der "Spaß-Teil" der Ausstellung zunächst geschlossen. Und als Merkel gut zwei Stunden später erneut in die Brunnenstraße kommt, um sich mit mehreren hundert Aktivisten der Jungen Union zu treffen, beginnt die Veranstaltung erst einmal mit einer Gedenkminute für die Opfer von Barcelona.