Reuters

HINTERGRUND-Jamaika-Partner haben bereits jetzt Gemeinsamkeiten

15.10.2017
um 13:11 Uhr

- von Hans-Edzard Busemann und Andreas Rinke und Thorsten Severin

Berlin (Reuters) - Wenige Tage vor Beginn der Sondierung einer Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen scheinen die Beteiligten noch im Wahlkampfmodus zu sein.

Betont werden vor allem Unterschiede, etwa in der Flüchtlings- oder Finanzpolitik. Dabei zeichnen sich bereits Bereiche ab, in denen alle vier Parteien gemeinsame Ziele haben. Sie könnten Teil einer Positiv-Liste sein, mit der bei den Sondierungen vergleichsweise unstrittige Fragen definiert werden.

STEUERENTLASTUNG

Ein Dauerthema der Finanzpolitik wollen die möglichen Koalitionäre angehen: Alle vier Parteien wollen kleine und mittlere Einkommen steuerlich entlasten. Sie haben dem sogenannten Mittelstandsbauch im aktuellen Steuertarif den Kampf angesagt. Darunter versteht man eine überproportionale steuerliche Belastung unterer und mittlerer Einkommen. Über den Umfang der steuerlichen Entlastung herrscht aber Uneinigkeit.

DIGITALISIERUNG

CDU/CSU, FDP und Grüne streben den massiven Ausbau der Breitbandnetze an und setzten dabei auf moderne, aber teure Glasfaserleitungen. Vermutlich würde eine Jamaika-Koalition für den Internetausbau viel Geld in die Hand nehmen. Finanziert werden könnte dies aus den Erlösen aus der Vergabe von Lizenzen für den nächsten Mobilfunkstandard 5G. FDP und Grüne wollen die Anteile des Staates an der Telekom verkaufen und das Geld für den Internetausbau verwenden. Alle drei sind sich zudem in dem Ziel einig, die digitale Bildung zu verbessern. Nicht nur in der Schule, auch in den Fortbildungen sollen die neuen Techniken vermittelt werden.

BILDUNG

Alle Parteien wollen im Bildungssektor vorankommen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder spricht gar von einer "Bildungsoffensive". Diese könne "das große Projekt der gesamten Koalition werden". FDP-Chef Christian Lindner hat betont, zwischen seiner Partei und den Grünen gebe es Gemeinsamkeiten bei der Reform des Bildungsföderalismus. In der FDP gibt es die Idee eines Staatsvertrags zu der Frage, wie der Bund bei der Finanzierung von Schulen helfen kann.

EINWANDERUNG

Beim Umgang mit Flüchtlingen bestehen zwar große Differenzen, doch haben sich alle vier Parteien für einen neuen gesetzlichen Rahmen der Einwanderung ausgesprochen. Während die Union ein "Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz" anstrebt, wollen FDP und Grüne ein Einwanderungsgesetz. Beide Parteien setzen dabei auf ein Punktesystem, mit dem die Antragsteller je nach Bildung, Alter und anderen Eigenschaften bewertet werden. Diejenigen, die am besten zu Arbeitsmarkt und Gesellschaft passen, sollen dann nach Deutschland kommen dürfen. Dabei geht es nur um Länder außerhalb der Europäischen Union (EU) - innerhalb der EU sind die Grenzen für Arbeitnehmer bereits offen.

FLÜCHTLINGSURSACHEN

Unstrittig ist bei Union, FDP und Grünen, dass mehr gegen die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen getan werden muss. Dabei gibt es zwei Stoßrichtungen: Die Förderung demokratischer Strukturen in den Heimatländern der Hilfesuchenden und der Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft, damit die Menschen sich nicht aus reiner Not auf den Weg nach Europa machen. So fordern etwa die Grünen faire Handelsbedingungen für wirtschaftlich unterentwickelte Staaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel will die wirtschaftliche Entwicklung afrikanischer Staaten unterstützen, um damit Fluchtursachen aus diesen Ländern zu bekämpfen.

EUROPA

Eine Jamaika-Koalition wäre ein Regierungsbündnis, das entschieden zur Europäischen Union steht. Union, FDP und Grüne stehen der europäischen Integration aufgeschlossen gegenüber. Allerdings gibt es massive Differenzen im Detail. So fordert etwa die FDP einen harten Euro-Rettungskurs und schließt beispielsweise den Ausschluss von Schuldnerländern wie Griechenland aus der Euro-Zone nicht aus. Die Grünen werten dagegen die von Merkel betriebene Konsolidierungspolitik als überzogen und fordern Abstriche an dem strikten Sparkurs.

AUSWÄRTIGE POLITIK

In den großen Linien der Außenpolitik ziehen alle vier Parteien an einem Strang. Sie sind bekennende Transatlantiker und rütteln nicht am Bündnis westlicher Staaten, auch wenn FDP-Chef Christian Lindner die Russland-Sanktionen infrage stellte. Auch in der Krise der Beziehungen zur Türkei verfolgen Schwarz, Gelb und Grün im Wesentlichen den gleichen Ansatz. Die Vereinten Nationen (UN) sind ein zentraler Bezugspunkt für alle vier Parteien für globale Politikansätze.

LÄNDLICHER RAUM

Zwar gibt es große Unterschiede in der Agrarpolitik unter den möglichen Koalitionären. Unstrittig ist aber, dass etwas für den ländlichen Raum getan werden muss. Jenseits der Ballungsräume gibt es Regionen, die unter Bevölkerungsschwund leiden sowie unter Defiziten in der Infrastruktur vom Straßen- und Schienennetz bis zur Ärzteversorgung. Um hier umzusteuern, könnte eine Jamaika-Koalition ein Investitionsprogramm beschließen, um die ländlichen Regionen wieder attraktiver zu machen.

KLIMA

Alle vier Parteien bekennen sich zu den Pariser Klimaschutz-Zielen. Damit scheinen die Weichen für Maßnahmen zur Verringerung des Kohlendioxid-Ausstosses gestellt, denn dieses Gas gilt als Hauptverantwortlicher für die Erderwärmung. Allerdings sind die Maßnahmen, wie eine CO2-Reduktion erreicht werden kann, zwischen den möglichen Partnern sehr umstritten. So will die FDP den Ausbau der Windenergie bremsen, die Grünen wollen das Gegenteil.

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