Reuters

Stellenabbau hält Siemens in Atem

31.01.2018
um 16:16 Uhr

- von Alexander Hübner und Jörn Poltz

München (Reuters) - Demonstrationen vor den Toren, Debatten in der Olympiahalle: Der geplante Abbau von fast 7000 Arbeitsplätzen erhitzt bei Aktionären, Mitarbeitern und Managern von Siemens die Gemüter.

Pünktlich zur Hauptversammlung gab Siemens einen Gewinneinbruch in der am stärksten betroffenen Kraftwerks-Sparte bekannt, der das operative Ergebnis im gesamten Konzern im ersten Quartal nach unten zog. Das zeige, dass "der Handlungsbedarf notwendig ist, ja sogar dringlicher geworden ist", verteidigte Vorstandschef Joe Kaeser am Mittwoch die Pläne vor mehr als 6000 Aktionären. Während Mitarbeiter vor der Halle in München und in Frankfurt demonstrierten, äußerten Anteilseigner Verständnis.

"Siemens hat sich geändert, die Zeiten haben sich geändert", sagte Daniela Bergdolt von der Aktionärsvereinigung DSW. Früher habe der Konzern Probleme oft ausgesessen und zu spät reagiert. Diesmal sei das anders. Gerhard Cromme, der am Mittwoch nach elf Jahren als Aufsichtsratschef ausschied, mahnte: "Siemens darf nie wieder einen Paradigmenwechsel verpassen."

Siemens hat wegen des geplanten Stellenabbaus viel Schelte aus Politik und Gesellschaft einstecken müssen. Davon werde sich Siemens weder beirren noch provozieren lassen, entgegnete Kaeser vor den Aktionären. Er hatte in Deutschland für Irritationen gesorgt, als er bei einem Abendessen mit US-Präsident Donald Trump in Davos die - längst beschlossene - Entwicklung einer neuen Turbinen-Generation in den USA angekündigt hatte. "Man hat als Unternehmensführer Werte, die sollte man nicht verkaufen - aber man hat auch Interessen", sagte er am Mittwoch.

Siemens will in der gebeutelten Kraftwerks-Sparte und der verwandten Antriebs-Sparte 6900 Arbeitsplätze streichen. Power & Gas verlor im ersten Quartal 20 Prozent Umsatz und halbierte den Gewinn. Deshalb sank das Ergebnis aus dem gesamten industriellen Geschäft von Siemens um 14 Prozent auf gut 2,2 Milliarden Euro. Der Einbruch im Markt für konventionelle Kraftwerke, für die Siemens Gas- und Dampfturbinen liefert, sei nicht nur eine vorübergehende Eintrübung, sagte Kaeser. Die Werke in Offenbach, Erfurt, Mülheim und Görlitz seien längst nicht mehr ausgelastet.

500 KILOMETER MIT DEM FAHRRAD

Dem Werk im ostsächischen Görlitz will Kaeser aber eine neue Perspektive eröffnen - unter dem Dach von Siemens als Teil eines "Industriekonzepts Oberlausitz". "Da werden wir in Gottes Namen für diese 600 bis 700 Leute eine Perspektive finden", sagte er am Rande des Aktionärstreffens. Personalchefin Janina Kugel sagte, die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern sollten bis zum Spätsommer abgeschlossen sein. Niemand habe ein Interesse, dass sie sich länger hinzögen als nötig. Kaeser empfing vor der Versammlung Beschäftigte aus Görlitz, die gegen die Schließung protestierten. Einige waren die mehr als 500 Kilometer lange Strecke nach München mit dem Fahrrad gefahren. "Das ist auch wie so ein Todesstoß für unsere Region", sagte Heiko Haberl aus Görlitz. "Und das ist schon hart."

Petra Lagler aus Erlangen bezeichnete den Stellenabbau als "unverschämt - nur weil sie noch mehr Gewinn machen wollen". DSW-Vertreterin Bergdolt forderte Siemens auf, Alternativen zu finden. Fondsmanager Marcus Poppe von der DWS begrüßte die Pläne: "Von Siemens zu verlangen, langfristig Verluste mit Gewinnen aus anderen Konzernbereichen auszugleichen, ist keine nachhaltige Lösung." Siemens müsse aber mit den Mitarbeitern fair umgehen. "Überzogene Gewinnerwartungen an die Sparte sind daher genauso falsch wie der Versuch Einzelner, politisches Kapital aus dem Schicksal der Betroffenen zu schlagen."

WERTE UND INTERESSEN

Trumps Steuerreform gab dem Gewinn von Siemens im Quartal Rückenwind. Unter dem Strich stand ein um zwölf Prozent höherer Gewinn von 2,2 Milliarden Euro. Er wurde durch den Verkauf der restlichen Aktien an der ehemaligen Lichttechnik-Tochter Osram begünstigt. Eine Steuerquote am unteren Rand der Erwartungen hilft dem Konzern auch dabei, seine Gewinnziele für 2017/18 zu erreichen. "Siemens ist also insgesamt in einer sehr guten und robusten Verfassung", resümierte Kaeser.

Umsatz und Auftragseingang profitierten von Zuwächsen in der Zug-Sparte, die mit der französischen Alstom fusionieren soll. Von Oktober bis Dezember kamen Aufträge für 22,5 Milliarden Euro herein, 14 Prozent mehr als ein Jahr zuvor und weit mehr als Analysten Siemens zugetraut hatten. Der Umsatz wuchs um drei Prozent auf 19,8 Milliarden Euro.

Der bevorstehende Börsengang der Medizintechnik-Sparte Healthineers stieß bei Aktionären auch auf Kritik. "Warum soll die Ertragsperle Healthineers gerade jetzt an die Börse gebracht werde, wo das Geschäft dort glänzend läuft und weite Teile des restlichen Geschäfts von Siemens unter Druck stehen", fragte Portfoliomanager Ingo Speich von Union Investment. Den Altaktionären werde ein "Juwel aus der Siemens-Krone gebrochen". Dabei brauche Siemens das Geld - einen hohen einstelligen Milliardenbetrag - vorerst nicht. "Geben sie uns lieber eine Aktie, wenn sie nicht wissen, was sie mit dem Geld von Healthineers machen können", sagte Hans-Martin Buhlmann vom Aktionärsverein VIP. "Beim Stapellauf des Luxusliners wollen wir nicht nur Spalier stehen und Beifall klatschen, sondern mit an Bord sein", forderte Deka-Fondsmanager Winfried Mathes. Siemens will die Mehrheit an Healthineers behalten.

ALSTOM S.A. INH. EO 7

WKN A0F7BK ISIN FR0010220475

OSRAM LICHT AG NA O.N.

WKN LED400 ISIN DE000LED4000

SIEMENS AG NA O.N.

WKN 723610 ISIN DE0007236101