Reuters

Euro, Verteidigung - Merkel schießt Ball zurück zu Macron

04.06.2018
um 09:36 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Seit Wochen wird Bundeskanzlerin Angela Merkel gedrängt, endlich eine Antwort auf die Reformvorschläge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für Europa zu geben.

Am Sonntag hat Merkel nun ihre Positionen in zwei weiteren zentralen Feldern klar gemacht - der Euro-Zone und der Verteidigung. Zuvor hatten Kanzlerin und Präsident bereits eine gemeinsame Initiative in der EU für eine Revolution in der europäischen Forschungspolitik vorgelegt. Und langsam werden die Umrisse jener gemeinsamen deutsch-französischen Position für die EU-Reformen sichtbar, die Merkel und Macron mehrfach und mit Blick auf den EU-Gipfel Ende Juni versprochen hatten. Mitte Juni soll es auf einem bilateralen Ministerrat Konkretisierungen geben.

Erst einmal spiele Merkel nun aber den Ball zurück nach Paris, heißt es in Regierungskreisen, in denen betont wird, dass Finanzminister Olaf Scholz einbezogen war. Denn eine Reihe von Zugeständnissen an die französische Position werden an Konditionen geknüpft - und Macron müsse jetzt entscheiden, wie weit er von seinen Maximalpositionen gerade bei der Euro-Zone-Reformen abrücke.

Möglicherweise hat dies sogar weniger mit der deutsch-französischen Debatte zu tun: Immerhin dämmert jetzt auch englischsprachigen Europa-Experten, dass Macron in der EU der 28 Regierungen gerade nach dem Regierungswechsel in Italien mit vielen Vorschlägen mittlerweile ziemlich alleine dasteht. "Sehr wenige EU-Regierungschefs - und bisher auch Merkel - unterstützen seine Pläne für die Euro-Zone und die EU", twitterte etwa Charles Grant, Direktor des Center for European Reforms. Merkel argumentiert aber seit Monaten und warnte am Sonntag erneut, dass es wenig sinnvoll sei, weitreichende bilaterale Ideen vorzulegen, die niemand sonst in der EU wolle.

Dabei sind sich Merkel und Macron nach Angaben beider Regierungen in dem zentralen Ziel einig: Macron spricht seit seiner Sorbonne-Rede immer wieder von der "Souveränität", die die EU wiedererlangen müsse. "Vor einem Jahr habe ich in Trudering gesagt, dass wir unser Schicksal mehr in die eigene Hand nehmen müssen", sagte die Kanzlerin jetzt ihrerseits der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Beide wollen ungeachtet des Auftriebs populistischer Kräfte in einigen EU-Staaten eine wesentlich engere Zusammenarbeit in der EU.

Dennoch bleiben Differenzen.

EURO-ZONE

In dem FAS-Interview geht Merkel bei den Euro-Zone-Reformen einen Schritt auf Macron zu. So begrüßt sie einen "Investivhaushalt für die Euro-Zone". "Das wird im unteren zweistelligen Milliardenbereich liegen", bremst sie allerdings Macrons Vorstellungen, dass dieser Fonds ein bis zwei Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen müsse. Zudem solle der Fonds schrittweise eingeführt werden. Sie lässt offen, ob er Teil des EU-Haushalts (EU-Kommission, Bundesregierung) oder ein separater Topf der Euro-Zone (Macron) werden soll.

Zweitens bekennt sich Merkel zur Vollendung der Kapital- und Bankenunion, was auch eine gemeinsame Einlagensicherung der Spareinlagen in der EU bedeuten würde. Bei dem angestrebten Übergang des Euro-Rettungsmechanimus ESM zu einem Europäischen Währungsfonds EWF schlägt sie eine zusätzliche Finanzierungslinie vor, nämlich Kredite mit einer Laufzeit von fünf Jahren, um Ländern unter die Arme zu greifen, die durch äußere Umstände in Schwierigkeiten geraten sind. Wie Macron plädiert sie für eine zwischenstaatliche Kontrolle und nicht eine durch die EU-Kommission.

VERTEIDIGUNG

Ein Zugeständnis bedeutet ihr Satz: "Ich stehe Präsident Macrons Vorschlag einer Interventionsinitiative positiv gegenüber." Denn bisher verfolgte die Bundesregierung eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten nur im Rahmen der neuen Pesco-Verteidigungskooperation. Macrons parallel dazu gestarteter Versuch, mit einer kleinen Gruppe von Willigen eine europäische Interventionsarmee zu gründen, wurde dagegen abgelehnt. Merkel übt nun ein Spagat: Deutschland werde sich an der Interventionsarmee beteiligen - aber nur, wenn Macron seinerseits damit auf die europäische Pesco-Plattform einschwenkt. Merkel ist nun auch bereit, das künftige Nicht-EU-Land Großbritannien einzubeziehen, wie Macron möchte.

Schönheitsfehler aus französischer Sicht: Mit der Bemerkung, dass eine solche Interventionsinitiative nicht bedeute, "dass wir bei jedem Einsatz dabei sind", wiederholt Merkel die alte deutsche Position. Frankreichs Präsident will aber ein sicherheitspolitisches Instrument, das die Europäer schnell und planbar einsetzen können.

ASYL- UND MIGRATIONSPOLITIK

Hier verlaufen die Fronten nicht zwischen Deutschland und Frankreich, sondern zwischen beiden Staaten und der osteuropäischen Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn). Dies blockiert seit Jahren eine Einigung auf die Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten - obwohl dies mehrheitlich beschlossen worden war.

Merkel wiederholt die Forderung, dass es ein einheitliches Asylrecht und möglichst auch eine europäische Entscheidungsbehörde geben solle, also eine Art EU-Bamf. Zudem müsse der Außengrenzschutz der Schengen-Staaten entnationalisiert werden, die Grenzschutzagentur Frontex müsse mittelfristig eine echte europäische Grenzpolizei werden. "Das heißt, die europäische Grenzpolizei muss das Recht haben, an den Außengrenzen eigenständig zu agieren", sagt Merkel. Dies liegt zwar in der Logik des Schengen-Raums. Aber Länder wie Griechenland oder Polen müssten akzeptieren, dass eine EU-Agentur mit anderen Nationalitäten ihre Außengrenzen schützt. Merkel räumt ein, dass eine Einigung bis Ende Juni nicht unbedingt zu erwarten sei. Sie will keine Entscheidung per Mehrheitsentscheidung erzwingen - wofür Macron offener wäre.

FORSCHUNG UND KONVERGENZ

Seit Jahren pocht Merkel darauf, dass gerade die Euro-Staaten ihre Forschungspolitik besser aufeinander abstimmen müssten. Denn fast alle verfehlen die 2000 eingegangene Selbstverpflichtung, drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung auszugeben. Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit seien aber nötig, um mehr Konvergenz gerade im Währungsraum zu schaffen, warnt Merkel. Mit Macron hat sie nun einen Partner, der dies genauso sieht. Beide haben deshalb ein Konzept vorgelegt, mit dem die EU stärker sogenannte "disruptive Innovationen" entwickeln soll.

Dafür fordern beide eine wesentlich risikofreundlichere Forschungspolitik und mehr Geld. Merkel schlägt vor, dass das zusätzliche Budget für die Euro-Zonen-Länder auch hier eingesetzt werden könnte. "Bei der Künstlichen Intelligenz sind Deutschland, Frankreich und die baltischen Staaten zum Beispiel besser aufgestellt, da sollten wir dann also eher in den Ländern investieren, die noch Nachholbedarf haben."

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