Reuters

Erdrückende Umarmung? Berlin und Peking rücken zusammen

11.07.2018
um 15:06 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Am Verhalten von Ministerpräsident Li Keqiang lässt sich das wachsende chinesische Selbstbewusstsein über die Jahre leicht ablesen.

Körpersprache sowie Verhalten bei seinem zweitägigen Besuch in Deutschland ließen diesmal nur einen Schluss zu: China gewöhnt sich langsam an seine künftige Supermachtrolle. Am Montag riss der breit gestikulierende Li in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel im Kanzleramt die Kontrolle an sich, als die Kanzlerin die Veranstaltung schon beenden wollte. Und am Dienstag genoss er sichtlich den Kontrast zwischen der neuen Hightech-Nation China und der alten Hightech-Nation Deutschland: Als ausgerechnet auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof gemeinsame Projekte zum autonomen Fahren vorgestellt wurden und Merkel dann noch mit anfangs nicht funktionierenden Übersetzungsanlagen kämpfen musste, witzelte Li gutgelaunt: "Das ist eine neue Technologie, Sie müssen mehr Verständnis zeigen."

Nichts demonstriert besser, dass China längst auf dem Sprung ist, technologisch an Deutschland vorbeizuziehen - auch wenn Li in der Pressekonferenz erneut betonte, dass China doch noch ein Entwicklungsland sei und niemand vor Investitionen Angst haben müsse. Denn Merkel musste eingestehen, dass man in den bilateralen Beziehungen derzeit neue Wege gehe. Positiv gehört dazu, dass deutsche Firmen wie BASF nun erstmals ohne einen chinesischen Joint-Venture-Partner in dem Riesenmarkt aktiv werden dürfen. Als negativ gilt allerdings, dass die von der Kanzlerin geplante Aufholjagd im Batteriesektor von den Chinesen - und den deutschen Autofirmen - kühl unterlaufen wird. Denn der Batterieriese CATL kündigte eine Milliarden-Investition für ein Werk in Thüringen an.

"Es ist... natürlich ein qualitativ neuer Schritt, wenn eine chinesische Firma mit einer Technologie kommt, die wir in Europa zurzeit nicht besitzen", musste die Kanzlerin einräumen. "Wenn wir es selber könnten, wäre ich auch nicht traurig - aber nun ist es einmal so", fügte sie hinzu. Zweitbeste Lösung sei, dass eine solche chinesische Investition dann zumindest nach Deutschland komme. "Es ist ein guter Tag für Thüringen", sagte Merkel mit Blick auf die dort entstehenden Arbeitsplätze. Ob es auch ein guter Tag für Deutschland oder eine nach Souveränität strebende EU ist, sagte sie nicht.

"NEUER SCHWUNG OHNE ENTHUSIASMUS"

Deshalb bleibt nach dem Li-Besuch eine seltsame Stimmung zurück. Einerseits wurden Verträge im Wert von 20 Milliarden Euro unterzeichnet - und der deutsch-chinesische Handel boomt auch 2018 weiter. Allein von Januar bis Mai legten die deutschen Exporte um 9,1 Prozent auf 37,1 Milliarden Euro zu. Damit bietet sich China als Alternative zu den USA an, wo US-Präsident Donald Trump mit seinen Strafzöllen auf Importprodukte die transatlantischen Beziehungen belastet. Gleichzeitig aber wächst ein Unwohlsein über die neue, ungewohnte Rollenverteilung. Denn China tritt immer seltener als Bittsteller und immer häufiger fordernd auf.

Der stellvertretende Direktor des China-Forschungsinstitut Merics in Berlin, Mikko Huatori, spricht deshalb von "neuem Schwung ohne Enthusiasmus", wenn er das bilaterale Verhältnis zwischen der größten EU-Wirtschaft und der aufstrebenden Supermacht beschreibt. Denn viele Firmen fühlen sich mittlerweile an China gekettet - deutsche Autokonzerne verkaufen dort zwischen 20 und 40 Prozent ihrer Produktion. Dementsprechend wenig aufgeschlossen sind die Dax-Konzerne mit ihren ohnehin hohen ausländischen Eigentümerstrukturen, sich noch in strategische politische Überlegungen einer Bundesregierung oder der EU einbinden zu lassen. Ihre Abhängigkeit vom chinesischen Markt ist bereits viel zu groß, um sich im Konzert mit der Politik gegen Peking zu stellen.

Was China und Deutschland dennoch zusammentreibt, wurde beim Treffen Merkel-Li allerdings ebenso deutlich: Es ist paradoxerweise für die überzeugte Transatlantikerin eine gemeinsame Bedrohung aus den USA. Zwar betont Merkel, dass sie keineswegs die USA und China als Handelspartner miteinander vergleichen wolle. Aber die beiden Exportnationen spüren zur gleichen Zeit, wie sehr sie gegen US-Präsident Trump zusammenhalten müssen: Beide haben ein Interesse an einer multilateralen Ordnung, in der nicht nur die USA den Takt vorgeben. Beide wollen das Atomabkommen mit dem Iran und das Pariser Klimaschutzabkommen retten. Deshalb wirken Pressekonferenzen von Merkel mit dem Vertreter des kommunistischen Regimes in Peking derzeit weniger spannungsgeladen als die mit dem Präsidenten der militärischen Schutzmacht aus Washington.

Denn es ist ausgerechnet Trump, der dafür sorgt, dass sich Peking trotz seiner entschlossenen technologischen Aufholjagd zwar selbstbewusst, aber eben auch sehr kooperativ gibt. Mehr als einmal versuchte Li bei seinem Berlin-Besuch die Ängste deutscher Firmen zu zerstreuen, dass sie in China ausgenutzt werden könnten. Merkel selbst betonte, dass die chinesische Regierung gewillt sei, trotz des restriktiveren innenpolitischen Vorgehens Nichtregierungsorganisation aus Deutschland gute Arbeitsmöglichkeiten in China zu ermöglichen. Plötzlich wurde auch ein jahrelang schmorende Rechtshilfeabkommen abgeschlossen.

Und am zweiten Tag des Li-Besuchs wählte die kommunistische Führung in Peking eine besondere Geste, um die Wertschätzung für die Kanzlerin und Deutschland zu zeigen. Nach acht Jahren Hausarrest und zahllosen Demarchen aus Berlin durfte die Künstlerin Liu Xia, Witwe des Friedensnobelpreisträgers und Dissidenten Liu Xiaobo, nach Deutschland ausreisen.

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