Reuters

VW-Abgas-Affäre bringt Winterkorn in die Bredouille

21.09.2015
um 17:16 Uhr

- von Jan C. Schwartz und Hakan Ersen

Hamburg/Frankfurt (Reuters) - Die Affäre um Abgas-Manipulationen in den USA setzt Volkswagen-Chef Martin Winterkorn massiv unter Druck.

Aus Sorge über milliardenschwere Strafzahlungen trennten sich Anleger in Scharen von dem VW-Papier. Die Aktie brach am Montag um bis zu 23 Prozent auf 125,40 Euro ein. Mit dem größte Kurssturz seit 21 Jahren verlor der Wolfsburger Autokonzern rund 17 Milliarden Euro an Börsenwert. Das ist mehr als die gesamte Marktkapitalisierung des Kosmetikkonzerns Beiersdorf. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sprach von einem "schlimmen Vorfall". Man müsse sich um den exzellenten Ruf von VW und den anderen Auto-Herstellern sorgen. Alle deutschen Autobauer müssten nun prüfen, ob auch Abgaswerte anderer Pkw-Modelle manipuliert worden seien. [ID:nL5N11R2EM]

Verkehrsminister Alexander Dobrindt wollte Regierungskreisen zufolge am Montag mit VW-Chef Martin Winterkorn über die Affäre sprechen. Ein VW-Sprecher sagte, Details würden nicht bekanntgegeben. Erste Analysten sowie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordern bereits einen personellen Neuanfang an der Konzernspitze. Winterkorns Vertrag soll eigentlich auf der Aufsichtsratssitzung am Freitag vorzeitig um zwei Jahre bis Ende 2018 verlängert werden. Denn der 68-Jährige soll den von ihm angestoßenen Konzernumbau begleiten.

Firmenpatriarch Ferdinand Piech war im April auf Distanz Winterkorn gegangen und hatte Europas größten Autokonzern damit in eine wochenlange Führungskrise gestürzt. Am Ende unterlag der 78-Jährige Porsche-Enkel und musste sich von allen Ämtern zurückziehen. Als Großaktionär kann er jedoch weiter Einfluss ausüben.

Autoanalyst Arndt Ellinghorst von Evercore ISI geht davon aus, dass der Abgas-Skandal weitere Veränderungen im VW-Management auslösen könnte. "Entweder Winterkorn wusste von dem Vorgehen in den USA oder es wurde nicht an ihn berichtet", sagte er. Im ersten Fall müsse Winterkorn sofort zurücktreten. Im zweiten Fall müsse man genau fragen, wieso ein solch weitreichender Verstoß nicht an ihn berichtet wurde - auch dann sollte es für Winterkorn eng werden. VW sei der Konzern mit dem weltweit größten Forschungsbudget und habe sich in den USA wie eine Hinterhofwerkstatt benommen, die mit Manipulationen einen Gebrauchtwagen durch die Abgas-Inspektion bringen wolle, sagte Ellinghorst. Betriebsratschef Bernd Osterloh sagte, er stehe zu Winterkorn. Wenn Winterkorn persönlich für den Abgas-Skandal verantwortlich wäre, würde er zurücktreten.

MILLIARDENSTRAFE DROHT

Die US-Umweltschutzbehörde EPA verdächtigt VW, bei zahlreichen Diesel-Fahrzeugen die Abgasvorschriften vorsätzlich umgangen zu haben. Es geht um fast eine halbe Million Autos. Volkswagen droht nach Angaben der Behörde damit eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar. Winterkorn hatte sich am Wochenende für den Verstoß entschuldigt und eine externe Untersuchung angekündigt. Er persönlich bedauere zutiefst, dass VW das Vertrauen von Kunden und der Öffentlichkeit enttäuscht habe. Daneben dürfte der Konzern für die Nachbesserung beziehungsweise Rücknahme der manipulierten Fahrzeuge zur Kasse gebeten werden. Zudem drohen Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe. Auch dürften die Autoverkäufe in den USA, die sich zuletzt stabilisiert hatten, wegen des Imageverlusts unter Druck geraten.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht den Tatbestand der "vorsätzlichen Körperverletzung" erfüllt, weil die betroffenen Fahrzeuge absichtlich bis zu 40 mal mehr hochgiftige Diesel-Abgasgifte ausgestoßen hätten als erlaubt. Die DUH fordert daher Winterkorns Rücktritt und eine lückenlose Offenlegung durch den Aufsichtsrat, ob weitere Diesel-Pkw mit einer Software zur Abgas-Manipulation ausgerüstet und weitere Länder betroffen seien. Auch andere Hersteller setzten nach Einschätzung der DUH insbesondere in Europa Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung ein, um noch mehr Leistung aus den Motoren herauszuholen. Daimler erklärte, man sei nicht von den Ermittlungen der US-Umweltbehörde betroffen. Bei BMW hieß es, die US-Behörde habe ein Dieselmodell getestet und keine Verstöße festgestellt.

Die Bundesregierung fordert von den Autoherstellern Klarheit, ob eine Manipulation von Abgaswerten auch über die USA hinaus möglich ist. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums forderte den Konzern auf, bei der Aufklärung eng mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten. Klarheit forderten auch Betriebsratschef Bernd Osterloh und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Die Ratingagentur Fitch befürchtet, dass die Kreditwürdigkeit von VW unter Druck geraten könnte, sollte sich die Krise länger hinziehen. [ID:nL5N11R2DR]

"DAS WIRD TEUER"

Für VW dürfte der Fall teuer werden, glaubt Heino Ruland, Marktanalyst vom Brokerhaus ICF. Da VW die Manipulation zugegen habe, müsse mit der Höchststrafe von etwa 18 Milliarden Dollar gerechnet werden. "Das ist aber sicher nicht das Ende der Fahnenstange." Hinzukommen dürften Sammelklagen von US-Autohaltern. Außerdem sei offen, ob die Prüfergebnisse auch in anderen Staaten falsch seien.

Die auf Kapitalmarktrecht spezialiserte Kanzlei Tilp prüft bereits Schadensersatzklagen: "Wir haben mehrere Anfragen von Kleinanlegern und institutionellen Investoren, die uns gefragt, wie sie vorgehen können", sagte ein Sprecher.

Autoexperte Stefan Bratzel erwartet eine niedrigere Strafe, da VW mit den US-Behörden kooperiere. Viel größer sei der Imageschaden, den VW und damit auch die gesamte deutsche Automobilindustrie in den USA erlitten habe, sagte der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. "Das ist ein deutsches Thema. Da sind alle in der Sippenhaftung", ist Bratzel überzeugt. Volkswagen mit seiner Tochter Audi sei das Aushängeschild der deutschen Automobilindustrie. Die stärkere Einführung des Dieselantriebs in den USA könne die Branche vorerst vergessen. Geklärt werden müsse nun, ob auch andere Hersteller die Abgaswerte manipuliert hätten.

BAY.MOTOREN WERKE AG ST

WKN 519000 ISIN DE0005190003

BEIERSDORF AG O.N.

WKN 520000 ISIN DE0005200000

Ford Motor Company

WKN 502391 ISIN US3453708600

General Motors Company

WKN A1C9CM ISIN US37045V1008

MERCEDES-BENZ GRP NA O.N.

WKN 710000 ISIN DE0007100000

VOLKSWAGEN AG VZO O.N.

WKN 766403 ISIN DE0007664039