Reuters

Rüstungsexport-Stopp könnte für Ärger mit EU-Partnern sorgen

24.10.2018
um 09:17 Uhr

- von Sabine Siebold und Andrea Shalal

Berlin (Reuters) - Der vorläufige Stopp der Rüstungsexporte an Saudi-Arabien stürzt die Bundesregierung in ein Dilemma: Die Entscheidung könnte dem Verhältnis Deutschlands zu seinen engsten europäischen Partnern am Ende womöglich ebenso schaden wie den gerade erst geflickten Beziehungen zu dem Wüstenkönigreich.

Denn der Großteil deutscher Rüstungsgüter gelangt nach Angaben aus Industriekreisen nicht auf direktem Wege nach Saudi-Arabien, sondern in Form von Zulieferungen an Rüstungskonzerne im europäischen Ausland. So stammten etwa ein Drittel der Bauteile für die 48 Eurofighter, die Großbritannien demnächst für viele Milliarden an die Saudis exportieren will, aus Deutschland. Sollte die Bundesregierung diese Zulieferungen entgegen der Absprachen für das Gemeinschaftsprojekt kappen, dürfte sie sich Ärger einhandeln.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bemüht sich wohl auch aus diesem Grund um eine gemeinsame europäische Haltung. "Nur, wenn alle europäischen Länder sich einig sind, dann macht dies Eindruck auf die Regierung in Riad", betonte der CDU-Politiker. Frühere Erfahrungen lassen allerdings vermuten, dass die Chancen für einen europäischen Rüstungsexport-Stopp eher schlecht stehen. Waffenexporte gelten in der EU bis heute als lukrativer Ausdruck der nationalen Souveränität, in die man sich von den Nachbarn nicht hineinreden lässt. Deutsche Forderungen nach einer gemeinsamen, restriktiveren Exportpolitik stoßen in diesem Umfeld auf wenig Gegenliebe.

Schon in der Vergangenheit sorgte Berlins Ausfuhrpolitik für Irritationen bei den europäischen Partnern. Als der SPD-Politiker Sigmar Gabriel 2013 das Bundeswirtschaftsministerium übernahm, trat er bei den Exporten an Länder außerhalb von Nato und EU kräftig auf die Bremse. Glaubt man deutschen Waffenschmieden, stapelten sich in seinem Ministerium daraufhin nicht mehr nur milliardenschwere Anfragen für die Ausfuhr von Panzern oder anderem Großgerät. Massenweise hingen plötzlich auch Exportbegehren für unprätenziöse Pfennigartikel wie etwa Zündhütchen fest, die bis dahin als unproblematisch galten. Europäische Konzerne, die für den eigenen Export auf deutsche Komponenten angewiesen waren, reagierten unwirsch auf die stockenden Zulieferungen - und zogen offenbar Konsequenzen: Inzwischen gebe es Konzerne, die damit Werbung machten, dass ihre Produkte zu hundert Prozent in Frankreich gefertigt würden, heißt es in Industriekreisen.

NOURIPOUR - DEUTSCHE BOOTE FÜR SEEBLOCKADE DES JEMEN GENUTZT

Wie weit genau der deutsche Exportstopp reichen soll, ist bislang unklar. Neue Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter an Saudi-Arabien würden zunächst jedenfalls nicht erteilt, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Solange es keine Klarheit über die Todesumstände des regierungskritischen saudiarabischen schen Journalisten Jamal Khashoggi gebe, fehle dafür die Grundlage. Was dies für bereits genehmigte Rüstungsexporte bedeute, die noch nicht ausgeliefert seien, werde die Regierung nun prüfen.

Dies dürfte vor allem zwei Vorhaben betreffen: Die im September genehmigte Lieferung von vier Artillerieortungsradaren des Typs Cobra, die von einem Konsortium aus dem französischen Konzern Thales, Airbus und dem US-Unternehmen Lockheed hergestellt werden. Die Radargeräte können die genaue Herkunft von feindlichem Beschuss orten und ermöglichen damit präzise Gegenschläge. Als Teil eines Großauftrags baut die zu Lürssen gehörende Peene-Werft außerdem Patrouillenboote für Saudi-Arabien. Insgesamt hat das Königreich einem Bericht des "Stern" zufolge 33 Boote bestellt, für 16 davon müsse die Bundesregierung noch die Ausfuhrgenehmigung erteilen.

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen forderte im ZDF den Stopp auch bereits genehmigter Rüstungsausfuhren. Sonst würde die Bundesregierung die Glaubwürdigkeit verlieren. Auch der Grünen-Politiker Omid Nouripour verlangte einen Exportstopp. Es spreche vieles dafür, dass Saudi-Arabien etwa die bereits gelieferten Patrouillenboote aus Deutschland entgegen den Zusagen für die Seeblockade des Jemen einsetze, sagte er dem Deutschlandfunk. "Wenn man im Internet versucht, diese Boote zu verfolgen (...), dann fahren sie bis an die Straße von Aden – das ist genau da, wo die Seeblockade stattfindet – und dann machen sie ihre Transponder aus, ihre Sendegeräte, so dass man sie nicht mehr verfolgen kann." Auch die Cobra-Radare seien relevant für einen Krieg wie im Jemen, kritisierte Nouripour.

Ein Sprecher von Lürssen wollte sich zu Details des Auftrags nicht äußern. "Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu Exportgenehmigungen sowie politischen Aussagen grundsätzlich nicht äußern", sagte er. "Selbstverständlich werden wir jede politische Entscheidung über die Ausfuhr der in Wolgast gefertigten Boote respektieren." Der Verweis auf Wolgast ist ein pikantes Detail: Der Ort liegt im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern, das von der SPD-Politikerin Manuela Schwesig regiert wird.

Auf Drängen ihrer Partei hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag Waffenlieferungen an Staaten ausgeschlossen, die wie Saudi-Arabien am Jemen-Krieg beteiligt sind. Ausgenommen sind bereits genehmigte Ausfuhren, die nachweislich im Empfängerland bleiben. Über die Auslegung der Klausel gibt es jedoch seit Monaten immer wieder Streit. In Industriekreisen heißt es dazu, seit dem Koalitionsvertrag sei keine Veränderung der Genehmigungspraxis festzustellen.

Airbus SE

WKN 938914 ISIN NL0000235190

Lockheed Martin Corp.

WKN 894648 ISIN US5398301094

Thales S.A.

WKN 850842 ISIN FR0000121329