Reuters

Merkel und Macron entdecken den Westbalkan - notgedrungen

18.04.2019
um 16:47 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Wenn Angela Merkel und Emmanuel Macron gemeinsam für ein Abendessen in Berlin einladen, muss es um ein wichtiges Thema gehen.

Am 29. April werden deshalb die Staats- und Regierungschefs der sechs Westbalkan-Staaten sowie der EU-Staaten Kroatien und Slowenien im Kanzleramt zum Dinner mit der deutschen Regierungschefin und dem französischen Präsidenten erwartet. Der Grund: An der Südostflanke Europas liefern sich gerade mehrere Großmächte mit der EU ein geostrategisches Ringen um Einfluss und Macht. Kaum war vergangene Woche der EU-China-Gipfel in Brüssel zu Ende, machte sich Chinas Ministerpräsident Li Keqiang auf, um in Dubrovnik Hof für 16 ost- und südosteuropäische Staaten zu halten. Das Ziel: Chinas Einfluss in der Region auszubauen.

Auch wenn die Einigung zwischen Griechenland und Mazedonien im jahrzehntelangen Namensstreit eine positive Botschaft aus der Region war: EU-Diplomaten warnen seit Wochen vor einer rapiden Verschlechterung der Lage auf dem Balkan. In Bosnien-Herzegowina scheitern die drei Volksgruppen an der Regierungsbildung. In Serbien gibt es größere Proteste gegen Präsident Aleksandar Vucic. In Albanien gärt der Nationalismus.

Am gravierendsten, so ein EU-Diplomat, sei aber die Eskalation im Streit zwischen Serbien und dem Kosovo. Seit die serbische Regierung die Interpol-Aufnahme des Kosovo verhinderte und die Regierung der ehemaligen serbischen Provinz daraufhin Strafzölle auf serbische und bosnische Produkte verhängte, kochen die nationalistischen Gemüter hoch. Dabei hatte es zuvor den Plan eines Landtausches zwischen beiden Staaten gegeben - was allerdings die Bundesregierung kritisch sah. "Jede Grenzverschiebung in der Region ist sehr gefährlich", warnte auch Ulf Brunnbauer, Direktor des Instituts für Südost- und Osteuropa an der Universität Regensburg, schon vor Monaten mit Blick auf die Kriege im Zuge des Zerfalls von Jugoslawien.

Deshalb soll das Treffen im Kanzleramt Serbien und Kosovo zumindest wieder zu einem Gespräch zusammenbringen. Denn der Streit belastet die Entwicklung der ganzen Region, die sich gen EU orientieren will, aber unter dem gleichzeitigen Einfluss von Russland, China, der Türkei, Saudi-Arabien und der USA steht.

Wie blank die Nerven liegen, zeigen Gerüchte in serbischen Medien, Merkel und Macron wollten den Konfliktparteien einen Lösungsplan vorschreiben, der Kosovo die Kontrolle auch über die serbische Exklave im Norden, den Serben dafür die Kontrolle über Klöster und Kirchengebiet geben sollte. In Berlin wird das strikt zurückgewiesen: "Deutschland und Frankreich werden bei dem Treffen keinen Plan vorlegen", erfuhr Reuters aus deutschen Regierungskreisen. Es gehe um einen "informellen, offenen Austausch" zu regionalen Themen - und dabei sicher auch über den Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo. Aber eingeladen sind eben gleich acht Balkan-Länder. "Da die EU-Kommission leider weitgehend untätig geblieben ist, kommt die Initiative von Merkel und Macron zur rechten Zeit", sagt der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Johann Wadephul. "Sonst droht ein Rückfall in alte Konflikte."

"AUSBLUTEN DES WESTBALKANS VERHINDERN"

Allerdings ist die leicht entflammbare Lage auf dem Westbalkan auch auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen, meint Duan Reljic, Balkan-Experte des Thinktanks Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Derzeit beträgt das Wachstum in der Region zwei bis drei Prozent. Doch nur wenn es über sechs Prozent steigt, lässt sich ein Ausbluten des Westbalkans verhindern", sagt er zu Reuters. Viele Experten verweisen etwa auf die starke Auswanderung Richtung Österreich und Deutschland. Die "Welt" berichtet, dass die Zahl der offiziellen Arbeitsmigranten aus dem Westbalkan in Deutschland Ende 2018 auf 66.000 gestiegen sei - Tendenz stark steigend. Vor allem Ärzte und Facharbeiter verlassen die Region Richtung Norden. "Die EU-Erweiterungspolitik, die der Region eigentlich Wohlstand bringen sollte, stößt an eine Glaubwürdigkeitsgrenze", warnt Reljic.

Dazu kommt das Ausbremsen der immer wieder erwähnten EU-Beitrittsperspektive - für die vor allem Macron und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte verantwortlich gemacht werden. Macron hatte sich anders als Merkel und die EU-Kommission etwa mit Blick auf die Europawahl dagegen ausgesprochen, dass Mazedonien und Albanien EU-Beitrittskandidaten werden. Dahinter steckt die Angst, dass Rechtspopulisten daraus Kapital ziehen könnten, obwohl dies nur der Beginn von jahrelangen Verhandlungen wäre.

Wegen dieser Sorge hat die EU-Kommission auch die Länderberichte über die Westbalkan-Staaten bis auf die Zeit nach der Europawahl verschoben - obwohl sie eigentlich schon im April hätten veröffentlicht werden sollen. Allerdings vermuten EU-Diplomaten, dass der Bundesregierung eine Verzögerung ganz gelegen kommt: Denn auch eine Abstimmung im Bundestag über den Beginn von Beitrittsverhandlungen dürfte angesichts der Vorbehalte etwa in der Unions-Bundestagsfraktion gegenüber den Westbalkan-Staaten kein Selbstläufer sein.