Reuters

Johnson-Regierung - Streit über Parlamentspause gehört nicht vor Gericht

18.09.2019
um 15:57 Uhr

London/Brüssel (Reuters) - Im Streit um die außerordentliche lange Parlamentsschließung in Großbritannien vor dem höchsten Gericht geht die Regierung in die Offensive.

Ein Anwalt von Premierminister Boris Johnson forderte am Mittwoch vor dem Obersten Gericht, die Entscheidung über die Parlamentspause gehöre in die Sphäre der Politik und nicht der Justiz. "Es sind politische Weichenstellungen", sagte James Ealie. Es war der zweite Verhandlungstag. Das Urteil des Supreme Court wird für Freitag erwartet. Johnson hatte die Abgeordneten für fünf statt der üblichen zwei Wochen in Zwangspause geschickt. Die Anwälte der Kläger argumentierten, die Aussetzung des Unterhauses sei erfolgt, um die Abgeordneten davon abhalten, Johnsons Brexit-Kurs zu durchkreuzen.

Der Regierungschef will das Land unbedingt Ende Oktober aus der EU führen, notfalls auch unkontrolliert. Allerdings zwingt ihn ein vom Parlament eilig vor der Unterbrechung verabschiedetes Gesetz, vorher eine weitere Verschiebung zu beantragen.

Ein schottisches Gericht hatte die Parlamentsschließung vor einigen Tagen für unzulässig erklärt. Die rechtliche Frage ist nicht einfach zu klären, weil es in Großbritannien keine geschriebene Verfassung gibt, die etwa die Kompetenzen des Regierungschefs klar abgrenzen würde.

DIE UHR TICKT

Gleichzeitig treten die Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und London auf der Stelle. So lange keine schriftlichen und belastbaren Vorschläge von Johnson für die irische Grenze im Ausstiegsvertrag vorlägen, könne es keine Gesprächsfortschritte geben, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor dem EU-Parlament. "Es bleibt nur sehr wenig Zeit, (...) und das Risiko eines No Deal sehr real." Johnson hofft auf einen Verhandlungserfolg spätestens auf dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober. Doch wird das Königreich bis Ende des Monats wohl keine ausformulierten Vorschläge für die erhofften Änderungen am Ausstiegsabkommen vorlegen, sagten EU- und britische Vertreter. "In dem Fall wird der Gipfel ein Flop", sagte ein EU-Diplomat. Eine Einigung zwischen beiden Seiten müsse mit großem Vorlauf vorbereitet werden. Die Staats- und Regierungschefs könnten auf keine Fall die technischen Verhandlungen übernehmen.

Der Industrie-Lobbyverband BDI warnte vor den Folgen einer erneuten - der dann dritten - Brexit-Verschiebung. Eine Fristverlängerung vergrößere nur die Unsicherheit und Kosten für Unternehmen, sagte BDI-Chef Joachim Lang. Und die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon will bei einem Chaos-Brexit die Unabhängigkeit das Landesteils anstreben. "Wir sollten dies dann im nächsten Jahr ins Auge fassen", sagte Sturgeon in Berlin. Für das Ansetzen eines erneuten Referendums über die Trennung der jahrhundertealten Union mit England, Wales und Nordirland benötigt sie aber die Zustimmung der Regierung in London.