Reuters

CDU-Chefin kritisiert türkische Militäroffensive in Syrien

14.10.2019
um 07:52 Uhr

Saarbrücken/Istanbul (Reuters) - CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien scharf kritisiert und mit Konsequenzen gedroht, sollte der Nato-Partner dauerhaft zur Besatzungsmacht werden wollen.

In einem solchen Fall müssten die Nato-Länder der Türkei eine "klare Antwort" geben, sagte sie am Sonntag auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Saarbrücken. Es sei ein "verheerendes Signal" an die Kurden, dass die USA der Türkei freie Hand für ein Vorrücken eigener Truppen in Nordsyrien gelassen habe, kritisierte sie auch die Vereinigten Staaten. Die CDU-Chefin erinnerte daran, dass die auch von Deutschland ausgebildeten kurdischen Kämpfer die Hauptlast im Kampf gegen die radikalislamische Miliz IS getragen hätten. Nun werde das Signal ausgesandt: "Jetzt lasst ihr uns im Stich."

Unterdessen setzten türkische Streitkräfte die Kämpfe gegen die Kurdenmiliz YPG auch am fünften Tag fort. Die beiden grenznahen Städte im Nordosten Syriens, Ras al Ain und Tel Abjad, wurden erneut unter Beschuss genommen. Inzwischen seien sie unter türkischer Kontrolle, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittag. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge eroberten türkische Streitkräfte und ihre Verbündeten auch große Teile der syrischen Stadt Suluk. Die Vereinten Nationen schätzen, dass mehr als 130.000 Menschen aus den ländlichen Gebieten rund um Ras al Ain und Tel Abjad auf der Flucht sind. Bis zu 400.000 Menschen in den umkämpften Gebieten benötigten Hilfe und Schutz, erklärte die UN-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten.

Aus einem Gefangenenlager in der Nähe von Tel Abjad flohen nach Angaben von kurdischen Behörden mehrere hundert Familienmitglieder und Anhänger des Islamischen Staats (IS), nachdem türkische Streitkräfte das Lager beschossen hatten. Ein Anführer des kurdisch-geführten Rebellenbündnisses SDF sagte, es gebe schlicht nicht genug Wachpersonal mehr, nachdem Kämpfer an die Front beordert wurden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach von rund 100 Personen, die geflohen seien. In Lagern in Nordsyrien werden Tausende IS-Kämpfer aus 60 Ländern und Zehntausende Familienangehörige festgehalten.

MEHRERE HUNDERT TOTE

Die Militäroffensive der Türkei trifft auf breite internationale Kritik. Frankreich und Deutschland stoppten neue Waffenexporte an den Nato-Partner. Der britische Premierminister Boris Johnson mahnte, die Offensive könne die humanitäre Lage in Syrien verschlimmern und den Kampf gegen den Islamischen Staat schwächen. Einem Sprecher zufolge forderte er den türkischen Präsidenten Erdogan am Samstagabend in einem Telefongespräch auf, die Kämpfe zu beenden und in einen Dialog zu treten. Bisher hat Erdogan ein Ende der Offensive abgelehnt. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte der Deutschen Welle: "Im Kampf gegen die Terrororganisation werden wir auf keinen Fall zurückstecken."

Unterschiedliche Angaben gab es zur Zahl der Toten, die die Offensive bisher gefordert hat. Dem türkischen Verteidigungsministerium zufolge wurden seit Beginn 480 YPG-Kämpfer getötet. Erdogan sprach am Sonntag von zwei getöteten türkischen Soldaten. Die Beobachtungsstelle bezifferte die Zahl der Toten auf insgesamt mehr als 200 - 104 kurdische Kämpfer, 76 mit der Türkei verbündete Rebellen und 52 Zivilisten.

Die Türkei will entlang der Landesgrenze auf syrischem Gebiet eine 30 Kilometer tiefe sogenannte Sicherheitszone errichten und verlangt den Abzug der Kurden-Miliz aus dem Gebiet. Dort sollen dann bis zu zwei Millionen in die Türkei geflohene meist arabische Syrer angesiedelt werden. Die Türkei befürchtet ein Erstarken der Kurden jenseits ihrer Südgrenze und damit auch der nach Autonomie strebenden Kurden auf eigenem Territorium.