Reuters

Nato, Euro, Balkan - Es knirscht im deutsch-französischen Gebälk

12.11.2019
um 07:12 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Am Sonntag wurde Außenminister Heiko Maas ungewöhnlich deutlich. Nach der "Hirntod"-Äußerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Nato warnte Maas davor, die Nato zu "unterminieren" und Europa zu spalten.

Auch wenn Macron am Sonntagabend mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel im Schloss Bellevue friedlich dinierte: In den vergangenen Wochen baute sich gleich an drei Stellen erhebliches Konfliktpotenzial zwischen Deutschland und Frankreich auf. Denn Macron hatte zuvor schon eine Generalüberholung des Euro-Stabilitätspaktes gefordert und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien blockiert.

In Berlin hat dies Rätselraten ausgelöst, was den französischen Präsidenten genau umtreibt. Denn Macron stellt offen alte deutsche Grundüberzeugungen infrage. "Macrons Positionen, sei es zur Nato oder zur Erweiterung, sind in erster Linie Ausdruck von Ungeduld und Enttäuschung", erklärt dies Claire Demesmay, Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner macht die Bundesregierung verantwortlich. "Nun zeigt sich bei Macron der Frust darüber, dass Deutschland bei vielen der von ihm erhofften europäischen Integrationsschritte nicht mitgeht", sagte sie zu Reuters.

In der Bundesregierung verweist man dagegen lieber auf den innenpolitischen Druck, unter dem Macron stehe - und der ihn zu innenpolitisch populären, aber in Europa kontroversen Positionen treibe. In Meinungsumfragen erlebt die rechtsradikale Partei seiner früheren Rivalin im Präsidentschaftswahlkampf, Marine Le Pen, neue Höhenflüge. 2020 stehen Kommunalwahlen in Frankreich an. Macron begründet seine Ablehnung der Beitrittsgespräche mit Albanien offen damit, dass das Land an zweiter Stelle der Herkunftsländer der Asylbewerber in Frankreich stehe.

Dazu kommt, dass Macron im Grund keine neuen, sondern nur klassisch französische Positionen vertritt: Schon frühere Präsidenten hatten für eine lockere Haushaltspolitik plädiert und eine EU-Verteidigung gegenüber der durch die USA dominierten Nato bevorzugt. Und mit Hinweis auf die mangelnde Effizienz der EU sahen seine Vorgänger jede Osterweiterung skeptisch - die eher Deutschlands, aber nicht Frankreichs Rolle in der Union stärkt.

Brantner warnt aber davor, Macrons Position als irrational oder nur innenpolitisch getrieben anzusehen. "Deutschland dringt aus geostrategischen Gründen auf die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien", sagte sie. Aber Macron stelle die berechtigte Frage, wieso Deutschland andere geostrategische Fragen gerne übersehe - etwa den seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump gewachsenen Zweifel, ob sich Europa überhaupt noch auf die Nato verlassen könne. Oder warum Berlin nach wie vor den Bremser bei der Vollendung der Bankenunion und bei groß angelegten EU-Investitionsprogrammen spiele. "Macron ist nicht weniger 'europäisch' als seine deutschen Partner", warnt Brantner, Frankreichs Präsidenten einfach als "Neo-Gaullisten" abzutun, der nur die Interessen seines Landes vertrete.

"GEFÄHRLICH"

Die Folge ist für DGAP-Expertin Demesmay eine ungewohnt offene Diskussion zwischen beiden Hauptstädten. "Nach einer Phase der inszenierten Harmonie, die mit der Unterzeichnung des Aachener Vertrags Anfang des Jahres ihren Höhepunkt hatte, versuchen sie seit dem Frühling nicht mehr, ihre Differenzen in der Öffentlichkeit zu verbergen", sagte sie. "Beide sind zwar besorgt über die internationale Lage, aber lesen sie durch sehr unterschiedliche Brillen. Diese widerspiegeln in erster Linie die außenpolitische Kultur ihres Landes."

Wirklich neu ist dies nicht. Macron hatte ein großes Eurozonen-Budget vorgeschlagen, das dann aber eingedampft wurde. Und in der Verteidigungspolitik startete Macron eine Interventions-Initiative, mit der er auf europäischer Ebene eine Eingreiftruppe organisieren will - unabhängig von EU-Strukturen und unter Einschluss auch eines ausgetretenen Großbritanniens. Die Bundesregierung bevorzugte dagegen den Weg, innerhalb der EU die Sicherheitszusammenarbeit lieber schrittweise in einzelnen Bereichen wie Logistik auszubauen. Letztlich einigte man sich auf den Mittelweg, dass beide Länder bei beiden Initiativen teilnehmen. Immer wieder überbrückte man Differenzen, nicht nur beim Bau eines gemeinsamen Kampfjets und Panzers, sondern auch bei den nun vereinbarten Richtlinien für Rüstungsexporte.

Dazu kommt nach Ansicht von EU-Diplomaten aber noch ein weiteres Motiv: Nach dem bevorstehenden EU-Austritt Großbritanniens gerät die Balance in der EU durcheinander. Deutschland hatte stets eine Mittelposition zwischen beiden EU-Atommächten eingenommen - sowohl bei Erweiterung als auch Verteidigung. Ohne die Briten werden die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich sichtbarer. Allerdings steht die Bundesregierung dabei nicht alleine. In der Euro-Debatte kamen plötzlich die Nord- und Osteuropäer mit einer scharfen Macron-Kritik aus der Deckung. Und am Montag bezeichnete Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Nato-Bemerkungen des französischen Präsidenten als "gefährlich". Denn die Osteuropäer verlassen sich in ihrer Angst vor Russland vor allem auf die USA - nicht auf EU-Partner.