Reuters

Maschinen sollen Fondsmanagern Durchblick vor Briten-Wahl bringen

05.12.2019
um 12:47 Uhr

- von Saikat Chatterjee und Sujata Rao und Tommy Wilkes

London (Reuters) - Gut eine Woche vor der Wahl in Großbritannien verlieren Fondsgesellschaften den Glauben an die Umfragen und nehmen ihr Glück lieber selbst in die Hand.

Sie setzen auf Künstliche Intelligenz, geben eigene Erhebungen in Auftrag oder vertrauen auf Technologien, die sonst bei Sportwetten eingesetzt werden. Zur Begründung verweisen sie auf die Erfahrungen der Vergangenheit - die Wahlforscher lagen bei den vergangenen beiden Urnengängen in Großbritannien daneben und scheiterten sowohl bei der Wahl von US-Präsident Donald Trump als auch beim Brexit-Referendum 2016. "Die Welt ist so kompliziert geworden, dass die Umfragen, die Standard-Messgrößen der Vergangenheit, nicht mehr das ganze Bild erfassen", sagte Stephen Jen, Hedgefondsmanager bei Eurizon SLJ.

Reuters sprach mit mehr als zwei Dutzend Großinvestoren, darunter die Versicherungsgesellschaften Aviva und Legal and General sowie den Fondsgesellschaften NN Investment Partners, State Street Global Advisors und M&G Investments. Die meisten davon gaben an, bei der Suche nach dem Wählerwillen künstliche Intelligenz einzusetzen, die Nachrichten, soziale Netzwerke, Internetdaten, Umfragen und Wettstände auswertet.

"BREXMAS"-WAHL IST DE FACTO ZWEITES BREXIT-REFERENDUM

Bei der Abstimmung am 12. Dezember geht es letztlich um den EU-Austritt Großbritanniens selbst. Die Konservativen von Premierminister Boris Johnson wollen den Brexit durchziehen, die wichtigste Oppositionspartei Labour strebt ein zweites Referendum an, andere treten dafür ein, in der Europäischen Union zu bleiben. Für Johnson reicht es daher nicht, einfach nur mehr Sitze als die anderen Parteien zu erobern - um seinen Kurs durchzusetzen, benötigt er eine ausreichende Mehrheit im Parlament. Studien zufolge ist aber immer noch fast jeder zweite Wähler unentschlossen, wem er seine Stimme geben soll. "Ehrlich gesagt ist diese Wahl mit Abstand die schwierigste, an die ich mich erinnern kann", sagte Edward Shing, Aktienstratege bei BNP Paribas.

Henrik Müller, Journalistikprofessor in Dortmund, setzt auf die Auswertung sozialer Netzwerke, um die Stimmung in der Bevölkerung zu messen. In einer Studie für das Buegel Institut erläuterte er, wie eine Untersuchung von Twitter-Einträgen vor dem Brexit-Referendum 2016 den Stimmungsumschwung schneller und besser erfasst hat als Umfrageinstitute und Buchmacher. "Die Situation in Großbritannien ist einzigartig, sie ist ideal für diese Art der Analyse, weil die Bevölkerung bei der Brexit-Frage polarisiert ist, und das ist in sozialen Netzwerken leichter zu verfolgen", sagte er.

BUCHMACHER SIND NEBEN UMFRAGEN EBENFALLS INDIKATOREN

Doch auch Buchmacher haben ihre Berechtigung, sagte Said Haidar, Chefinvestor beim Hedgefonds Haidar Capital Management. Beim Referendum nutzte er die Wettanbieter, zusammen mit Nachrichten und Umfragen, und sagte so korrekt das Ergebnis voraus. Damit erwirtschaftete er nach eigenen Angaben "eine Menge Geld". Einer Untersuchung der Cambridge-University zufolge reagierten die Kurse in den Wettbüros schneller als die an den Finanzmärkten auf die Volksabstimmung.

In Umfragen liegen die Konservativen deutlich vorn - was eigentlich gut für das Pfund sein dürfte. Dennoch verharrt die britische Währung unter der Marke von 1,30 Dollar. Auch die Handelsvolumina sind vergleichsweise gering, wie aus Daten des Währungshandels-Spezialisten CLS hervorgeht. Beides deutet darauf hin, dass die Anleger verunsichert sind und sich nicht so recht aus der Deckung wagen. "Das ist nicht unbedingt schlecht für risikobereite Investoren", sagte Eurizon-Manager Jen. "Wenn nichts eingepreist ist, braucht man kein außerordentliches Ereignis, um Geld zu machen - man muss nur besser sein als der Durchschnitt."

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