Reuters

Neue SPD-Spitze vor Parteitag kompromissbereit

05.12.2019
um 16:12 Uhr

- von Holger Hansen

Berlin (Reuters) - Die SPD-Führung zeigt sich demonstrativ geschlossen vor dem Bundesparteitag, der die neue koalitionskritische Parteispitze wählen und Forderungen an die Union beschließen soll.

Der Parteivorstand gab am Donnerstag einstimmig grünes Licht für den Leitantrag, der Verhandlungen mit der Union etwa über eine "perspektivische" Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro und einen höheren CO2-Preis für stärkeren Klimaschutz vorsieht. Rote Linien für den Fortbestand der Koalition zieht die SPD darin nicht. Bei den Parteivize-Posten steht eine Kampfabstimmung über Juso-Chef Kevin Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil bevor.

Die künftigen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans rückten vor dem am Freitag beginnenden und auf drei Tage angesetzten Parteitag in Berlin von Maximalforderungen ab. Esken nannte den Leitantrag einen "guten Kompromiss" und fügte vor Journalisten hinzu: "Aber Sie werden nachvollziehen können, dass es nicht die reine Lehre sein kann dessen, wovon wir überzeugt sind. Das ist das Wesen eines Kompromisses. Aber es geht in die richtige Richtung." Walter-Borjans sagte, in den Gesprächen mit der Union wolle die SPD unter anderem einen Mindestlohn von zwölf Euro anstreben. Zudem werde es um den Klimaschutz und massive öffentliche Investitionen gehen.

Der Antrag ist von dem Bemühen geprägt, Koalitionskritiker wie auch -befürworter, darunter vor allem die Bundesminister der SPD und große Teile der Bundestagsfraktion, zu einen. Der Chef der SPD-Linken im Bundestag, Matthias Miersch, sprach von einer "belastbaren Grundlage, um die unterschiedlichen Meinungen in der Partei zu bündeln". Miersch sagte Reuters: "Ich glaube, dass der Antrag ausreichend Themenfelder benennt und auch zuspitzt, dass man darüber mit CDU und CSU jetzt reden kann."

KAMPFKANDIDATUR UM VIZEPOSTEN

Esken und Walter-Borjans sollen am Freitag zu Vorsitzenden gewählt werden. Über einen der drei Vizeposten steht eine Kampfabstimmung an. Juso-Chef Kühnert, Wortführer der Koalitionskritiker, und Heil treten gegeneinander an. "Es geht darum, die Kräfte zu bündeln, die SPD zusammenzuhalten", sagte der Minister. Es gab aber noch Überlegungen, die Vizeposten auf vier zu erhöhen. Damit würde eine Kampfabstimmung vermieden. Dies hätten Esken und Walter-Borjans aber abgelehnt, hieß es.

Für zwei weitere Vizeposten schlug der Parteivorstand die saarländische Vizeministerpräsidentin Anke Rehlinger und Klara Geywitz vor, die mit Finanzminister Olaf Scholz beim Mitgliedervotum unterlegen war. Als weitere Mitglieder der engeren Parteiführung sollen Generalsekretär Lars Klingbeil, Schatzmeister Dietmar Nietan und der Europa-Beauftragte Udo Bullmann bestätigt werden.

LEITANTRAG STELLENWEISE KONKRETISIERT

Der Leitantrag sieht keine Abstimmung über die Fortsetzung der Koalition vor. Es wird unterstrichen, dass die SPD in der Koalition mit der Union über konkrete Vorhaben verhandeln wolle. Es gehe "um zusätzliche Impulse für das Regierungshandeln" in den vier Bereichen Investitionen, Klimapolitik, gute Arbeit und Digitalisierung. Als Ziel wird nun "perspektivisch die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro" beziffert. Esken hatte einst die sofortige Anhebung auf zwölf Euro oder mehr gefordert.

Zudem wird nun ein höherer Preis für Kohlendioxid (CO2) gefordert, wodurch sich fossile Brennstoffe wie Benzin, Heizöl und Gas stärker verteuern würden. Dafür soll es einen "umfassenden, breit wirksamen sozialen Ausgleich" geben, "der für jeden gleichmäßig wirkt, um einen höheren CO2-Preis zu ermöglichen". Bisher sind im Klimapaket der Bundesregierung zehn Euro pro Tonne CO2 als Einstiegspreis vorgesehen. Die darin als Ausgleich vorgesehene Anhebung der Pendlerpauschale wird als "ungeeignet" bezeichnet, da die Kompensation mit steigendem Einkommen steige. Der im Klimaschutzgesetz vorgesehene Überprüfungsmechanismus für die Erreichung der CO2-Minderungsziele in einzelnen Bereichen solle bereits 2020 erstmals angewendet werden.

Eingefügt wurde an anderer Stelle, dass "bei aller Notwendigkeit einer auch weiterhin soliden Haushalts- und Finanzpolitik" ebenso auch die "Notwendigkeit von Investitionen unabhängig von der aktuellen Einnahmesituation anerkannt" werden müsse. Wie bereits in einer ersten Fassung heißt es weiter: "In diesem Sinne dürfen stetige Investitionen nicht an dogmatischen Positionen wie Schäubles Schwarzer Null scheitern." Auch Scholz, der das Papier mit ausgearbeitet hat, ist Verfechter eines ausgeglichenen Haushalts.

Die 600 Delegierten des Parteitages sollen die neuen Parteivorsitzenden beauftragen, gemeinsam mit Fraktionschef Rolf Mützenich und Vizekanzler Scholz Gespräche mit der Union zu führen. "Der Parteivorstand wird auf Grundlage der Gespräche bewerten, ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind", heißt es. Eine Frist wird nicht genannt.