Reuters

Merkels China-Reise - Stricken an der Weltagenda

27.10.2015
um 16:27 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - China-Reisen gehören für Angela Merkel mittlerweile zur Routine. Bereits zum achten Mal in ihrer Amtszeit fliegt die Kanzlerin am Mittwoch ins Reich der Mitte.

Doch der Akzent ist diesmal ein neuer: 2014 hatte Aufbruchstimmung geherrscht, als beide Regierungen ein 110 Punkte umfassenden Aktionsplan zur Innovationspartnerschaft verabschiedeten. Doch 2015 ist die Stimmung und der Ton nüchterner. Dies hat sowohl mit der wirtschaftlichen als auch der politischen Entwicklung Chinas zu tun.

CHINAS NIMBUS ALS LOKOMOTIVE DES WACHSTUMS LEIDET

Zum einen blickt die kommende Supermacht China zwar auf ein rasantes Wachstum zurück, das sich nun aber deutlich abkühlt. Der Internationale Währungsfonds sagt bis 2017 Wachstumsraten von "nur" noch weniger als sieben Prozent voraus. Dazu kommt nach Angaben von Sebastian Heilmann, Chef des China-Instituts Merics in Berlin, eine Neuorientierung der mittlerweile entwickelten chinesischen Wirtschaft. In den kommenden Jahren sollen Dienstleistungen und heimischer Konsum gestärkt werden, die Boomphase des Ausbaus der Kapazitäten in der Industrieproduktion scheint vorbei. Für die deutsche Wirtschaft bedeutet dies, dass es neue Gewinner und Verlierer geben könnte: Maschinenbauer drohe eher eine Abkühlung ihres Geschäfts, die Elektronikindustrie oder Automobilhersteller dürften tendenziell weiter über hohe Zuwachsraten auf dem Milliardenmarkt jubeln.

Zur Ernüchterung trägt aber auch bei, dass die enge Partnerschaft in dem Bereich "Industrie 4.0", also der Verschmelzung von Industrieproduktion und IT-Technik, nicht wirklich vorangeht. Nach Meinung von Björn Conrad, IT-Experte bei Merics, liegt dies vor allem an der Zurückhaltung der deutschen Firmen. "Sie sind sehr skeptisch - und das aus gutem Grund", sagte er. Denn sie fürchten, die eigene Konkurrenz in China zu stärken.

Allerdings sehen weder deutsche Wirtschaft noch Regierung die Lage trübe. "In China ist noch viel Platz zum Wachsen", hatte der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses (APA) der deutschen Wirtschaft, Hubert Lienhard, im September gesagt. Die Bundesregierung betont, dass trotz der spektakulären Wirtschaftsabschlüsse in Großbritannien über 55 Milliarden Euro Deutschland mit Abstand wichtigster Partner Chinas in der EU bleibe - mit einem Handelsvolumen, das so groß ist wie das Großbritanniens und Frankreichs zusammen. Außerdem verfüge etwa die britische Wirtschaft nicht über die Fähigkeiten, die deutsche zu ersetzen, heißt es auch in Industriekreisen selbstbewusst. Die Partnerschaft der Deutschen Börse mit chinesischen Börsen zeigt, dass der Finanzplatz Frankfurt künftig mitspielt - der auch Handelsplatz für die chinesische Währung Yuan geworden ist.

SORGEN ÜBER CHINAS INNENPOLITIK

Dazu kommt aber Unsicherheit über den innenpolitischen Kurs der relativ neuen chinesischen Führung. Menschenrechtsgruppen beklagen eine restriktivere Politik, seit Xi und Ministerpräsident Li Keqiang in Peking am Ruder sind. Auch die Bundesregierung sieht etwa ein neues Gesetz für die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in China mit Sorge. Wie immer würden auch Menschenrechtsfragen angesprochen werden, heißt es in Regierungskreisen in Berlin. Amnesty International sprach in einem offenen Brief an die Kanzlerin von "einer alarmierenden Lage". Zuletzt hatte es Verhaftungswellen auch gegen Journalisten und Rechtsanwälte gegeben.

Immer wichtiger werden allerdings die außenpolitischen Abstimmungen mit China. In Berlin wird einerseits mit Sorge, andererseits aber auch mit Hoffnung verfolgt, dass die mittlerweile zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt international stärker mitspielen will. In Ostasien sorgt Peking dabei durch eine aus Sicht seiner Nachbarn aggressive Politik für Spannungen im Süd- und Ostchinesischen Meer. Das werde Merkel ansprechen, heißt es in Regierungskreisen in Berlin. Aber die Kanzlerin will mit Li und Xi vor allem über die Rolle Chinas im Nahen Osten und Afghanistan sprechen. China solle mäßigenden Einfluss auf Russland ausüben, das in Syrien Oppositionsziele bombardiert.

Aber allein die Tatsache, dass Merkel gleich an beiden Tagen ihrer Visite deutsche und chinesische Wirtschaftsvertreter trifft, zeigt, dass es in den bilateralen Beziehungen für die Exportnation Deutschland eben doch sehr stark um Geschäfte geht. Dass ihre Besuche in den aufstrebenden Milliarden-Völkern Indien und China von einigen deutschen Medien jüngst dennoch als "kein Muss" eingestuft wurden, löst im Kanzleramt nur Kopfschütteln aus. Erst am Montag hatte Merkel im Bürgerdialog in Nürnberg gemahnt, die Deutschen müssten die Schärfe des weltweiten Wettbewerbs etwa bei der Digitalisierung begreifen. "Das ist so wichtig. Davon hängt der ganze Wohlstand Deutschlands ab", sagte sie - auch mit Blick auf China.

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