Reuters

Insider-VW legt wegen Dieselskandal US-Strategie auf Eis

27.10.2015
um 16:46 Uhr

- von Jan Schwartz und Andreas Cremer

Hamburg (Reuters) - Volkswagen legt seine Pläne in den USA angesichts des Desasters um manipulierte Diesel-Emissionswerte auf Eis.

Der Wolfsburger Autobauer wolle zunächst versuchen, mit Behörden und Klägern eine Einigung über drohende Straf- und Schadensersatzzahlungen zu erreichen, sagten zwei mit den Beratungen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. "Wenn wir das nicht schaffen, stellen sich für uns ganz andere Fragen in den USA", sagte ein hochrangiger Manager. Er ließ offen, welche Konsequenzen dies für die Präsenz von VW auf dem wichtigen US-Markt hätte. Ein zweiter Insider sagte, sogar ein Rückzug der VW-Dieselmodelle aus den USA wäre dann denkbar. Eine dritte Person mit Kenntnis der Überlegungen betonte, VW halte an den Investitionsplänen in den USA fest. Der Konzern äußerte sich nicht.

Volkswagen hatte im September auf Druck der US-Umweltbehörde EPA zugegeben, Abgaswerte mit einer Software manipuliert zu haben. Weltweit sind bis zu elf Millionen Fahrzeuge davon betroffen. Der größte Teil davon entfällt auf Europa, weil dort der Anteil an Dieselfahrzeugen besonders hoch ist. Dort müssen acht Millionen Wagen in die Werkstätten gerufen werden.

In den USA drohen dem nach Toyota weltweit zweitgrößten Autobauer wegen des Betrugs Strafzahlungen von bis zu 18 Milliarden Dollar. Hinzu kommt eine Flut an Schadensersatzklagen, die in Amerika leicht Größenordnungen von mehreren Milliarden Dollar erreichen können. Mehrere Anwaltskanzleien haben bereits Sammelklagen eingereicht oder angekündigt. Um zu verhindern, dass die Finanzpolster des Konzerns abschmelzen, verschärft VW seinen Sparkurs. Zugleich will der Konzern verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, indem der Skandal möglichst umfassend aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Damit dies nach strengen amerikanischen Grundsätzen geschieht, haben die Wolfsburger die US-Kanzlei Jones Day beauftragt. Davon erhofft sich VW, Milde der US-Behörden bei der Bestrafung wegen des Abgas-Betrugs.

"Wir brauchen jetzt ein paar Monate, um zu sehen, ob wir eine Einigung hinbekommen", sagte einer der Insider. Erst danach solle über die strategische Ausrichtung nachgedacht werden. Damit ist Konzernkennern zufolge klar, dass der vakante Posten des Amerika-Chefs nach dem Rückzug von Winfried Vahland vorerst nicht besetzt wird. Der Aufsichtsrat hatte den bisherigen Skoda-Chef als Konzernverantwortlichen für die Region USA, Mexiko und Kanada ernannt. In dieser Funktion sollte der 58-Jährige an den neuen VW-Markenchef Herbert Diess berichten. Kurz vor dem geplanten Amtsantritt erklärte Vahland jedoch seinen Rücktritt und verließ überraschend den Konzern, für den er 25 Jahre gearbeitet hat. Als Grund wurden unterschiedliche Auffassungen über die Strategie in den USA genannt.

BETRIEBSRAT POCHT AUF BESETZUNG

Die Nichtbesetzung des Postens ruft den mächtigen Betriebsrat auf den Plan, der schon länger eine neue Strategie für die USA anmahnt. "Ein starker Präsident für ganz Nordamerika muss eine Persönlichkeit sein, die über Erfahrung in den USA verfügt", betonte ein Sprecher des Konzernbetriebsrats. "Wir gehen davon aus, dass der Vorstand hier in diesem Sinne eine Entscheidung treffen wird."

Bei seinen Beratungen über die künftige Strategie für Nordamerika wird Volkswagen-Chef Matthias Müller auch den Rat von Thomas Sedran einholen. Der frühere Opel-Chef kennt den US-Markt durch den Detroiter Mutterkonzern General-Motors bestens. Volkswagen hat den 51-Jährigen mit Wirkung zum 1. November zum Konzernstrategen berufen.

Volkswagen hatte 2011 in Chattanooga eine neue Fabrik hochgezogen, um auf dem nach China weltweit zweitwichtigsten Pkw-Markt einen Gang höher zu schalten. Der Verkauf der dort gebauten US-Version des Mittelklassewagens Passat ließ nach anfänglichen Erfolgen jedoch nach, weil die Konkurrenz ihre Modelle schneller erneuerte als VW. Inzwischen ist der neue Passat auf dem Markt. Die Niedersachsen haben zudem für Ende nächsten Jahres einen Geländewagen mit sieben Sitzen angekündigt, der ebenfalls in Chattanooga vom Band rollen soll. In das Projekt investiert VW fast eine Milliarde Dollar. Anfang 2017 soll ein weiterer geräumiger Geländewagen folgen, der voraussichtlich in Mexiko hergestellt wird. Spätestens dann muss nach Ansicht von Insidern klar sein, ob Volkswagen mit Kratzern aus dem Diesel-Desaster herauskommt, oder in Amerika auf Dauer kleine Brötchen backen muss.

General Motors Co.

WKN A1C9CM ISIN US37045V1008

Volkswagen AG Vz.

WKN 766403 ISIN DE0007664039