Reuters

Merkel bremst bei Exit-Szenarien - "Noch nicht der Zeitpunkt"

27.03.2020
um 16:32 Uhr

- von Markus Wacket

Berlin (Reuters) - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Virus-Krise die Diskussion über gelockerte Kontaktverbote als verfrüht kritisiert.

Derzeit verdoppele sich die Zahl der Neuinfektionen noch alle vier bis fünf Tage, sagte sie nach dem EU-Gipfel aus ihrer Quarantäne in Berlin. Man könne über die Einschränkungen erst sprechen, wenn die Spanne sich in Richtung von zehn Tagen ausdehne. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet sagte, erst nach Ostern könne über eine Öffnung der Schulen beraten werden. In Deutschland legten die Neuinfektionen den Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge weiter im Tempo der vergangenen Tagen zu. Während Italien und Spanien hoffen, den Höhepunkt der Seuche bald erreicht zu haben, kletterte in Großbritannien die Toten- und Infiziertenzahl rasant. Auch Premierminister Boris Johnson ist erkrankt. Die USA entwickeln sich indes zum neuen Epizentrum der Pandemie.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der bekannten Infektionen in Deutschland mit rund 42.300 an. Das sind etwa 5800 mehr als am Vortag. Die Zahl der Toten stieg um 55 auf 253. Merkel machte deutlich, die Zahlen stiegen noch immer viel zu schnell. Die Einschränkungen müssten dafür sorgen, dass die Zeit bis zu einer Verdopplung der Neuinfektionen gestreckt werde: "Wir müssen durch unsere Maßnahmen noch sehr viel mehr Tage erreichen, und zwar in Richtung von zehn Tagen." Dies würde bedeuten, dass im Durchschnitt täglich die Neuinfektionen nur um rund sieben Prozent steigen würden. In den vergangenen sieben Tagen lag sie nach RKI-Zahlen noch mehr als doppelt so hoch. Die seit Montag geltenden, strikten Kontaktverbote werden sich aber wohl erst nächste Woche auswirken.

NRW-Ministerpräsident Laschet warnte ebenfalls vor einer verfrühten Lockerung, sagte aber auch: "So ein Zustand wie jetzt ist ein halbes, ist ein Dreivierteljahr, ist ein Jahr lang nicht durchhaltbar. Das muss auch jedem klar sein." Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Carsten Linnemann fordert von der deutschen Wirtschaft Vorschläge zu Exit-Strategien für die Zeit nach Ostern. "Denn wir können uns einen Zustand wie jetzt über zwei, drei, vier Monate nicht leisten, das weiß jeder", sagte der CDU-Wirtschaftspolitiker RTL/ntv.

TOTENZAHL STEIGT IN GROSSBRITANNIEN UM EIN DRITTEL

Während in Deutschland trotz des Anstiegs der Infektionen noch vergleichsweise wenig Menschen an Covid-19 gestorben sind, meldete Großbritannien jetzt 759 Tote. Gegenüber dem Vortag sind dies fast ein Drittel mehr. Nach Angaben der Behörden sind rund 14.600 infiziert. Darunter ist nach dem britischen Thronfolger Prinz Charles nun auch Premiermininister Johnson. "In den vergangenen 24 Stunden habe ich milde Symptome festgestellt und bin positiv auf das Coronavirus getestet worden", erklärte er. Er isoliere sich nun, steuere aber den Kampf der Regierung gegen das Virus weiter per Videokonferenz. Auch sein Gesundheitsminister Matt Hancock ist infiziert.

Leichte Hoffnung gibt es in den in Europa bislang am härtesten getroffenen Ländern Italien und Spanien: Die Daten in Spanien signalisieren nach Behördenangaben eine allmähliche Stabilisierung bei den Todesfällen. "Prozentual gesehen entspricht der heutige Anstieg ungefähr dem der letzten drei Tage, in denen wir eine deutliche Stabilisierung zu sehen scheinen", sagt der Leiter des Gesundheitsnotdienstes, Fernando Simon. Die Zahl der Virus-Todesfälle in Spanien stieg über Nacht um 769 auf 4858. Insgesamt sind in Spanien rund 64.000 Menschen mit dem Virus infiziert.

In Italien gibt nach Einschätzung der Behörden zwar noch keinen Anlass zur Entwarnung. "Wir haben den Höhepunkt noch nicht erreicht, und wir haben ihn nicht überschritten", sagte der Leiter des nationalen Gesundheitsinstituts, Silvio Brusaferro. Allerdings gebe es "Anzeichen für eine Verlangsamung". Das wiederum deute daraufhin, dass bald eine Trendwende erreicht sein könne, nach der die Zahl der Neuinfektionen sichtbar abnähme. In Italien sind derzeit rund 80.600 Menschen infiziert, rund 8.200 Menschen sind gestorben.

Um andere EU-Partner zu entlasten, will Deutschland 127 Corona-Intensivpatienten aus Frankreich und Italien versorgen. Die Angebote der Bundesländer addieren sich dem Auswärtigen Amt zufolge mittlerweile auf 73 Plätze für Schwerkranke aus Italien und 50 aus Frankreich.

Weltweit sind die USA nunmehr das Land mit den meisten gemeldeten Infektionen. Die Behörden haben dort inzwischen fast 86.000 Fälle erfasst. Die USA überholten damit China, wo die Krankheit erstmals auftrat. Bis Freitag wurden nach Angaben der Johns Hopkins Universität dort knapp 81.900 Fälle gemeldet. An dritter Stelle folgt Italien, dem Zentrum der Pandemie in Europa. Zwar sind mit etwa 1260 Menschen bislang deutlich weniger Corona-Patienten in den USA gestorben als etwa in Italien. Doch eine aktuelle Studie der University of Washington verweist darauf, dass die Zahl der Todesopfer in den USA in den kommenden vier Monaten auf mehr als 81.000 steigen könnte.