Reuters

Milliardenverlust - "Dieselgate" trifft VW mit Wucht

28.10.2015
um 12:21 Uhr

- von Jan Schwartz

Hamburg (Reuters) - Der Abgas-Skandal reißt ein riesiges Loch in die Bilanz von Volkswagen: Erstmals seit mindestens 15 Jahren fuhr Europas größter Autobauer auf Quartalsbasis einen Verlust von rund 3,5 Milliarden Euro ein.

Grund sind die milliardenschweren Rückstellungen für Rückruf und Umrüstung von manipulierten Fahrzeugen, deren Last der Wolfsburger Konzern voll bei der Hauptmarke VW Pkw verbuchte. Der neue VW-Chef Matthias Müller erwartet auch im Gesamtjahr einen deutlichen Ergebniseinbruch. Investoren schreckte die tiefrote Bilanz nicht, da sie auf den herben Verlust vorbereitet waren. Die in den vergangenen Wochen schwer gebeutelte VW-Aktie legte um mehr als vier Prozent zu und setzte sich an die Spitze des deutschen Leitindex Dax.

Für manche Experten sind die roten Zahlen allerdings womöglich erst die Spitze des Eisberges: "Die 6,7 Milliarden Euro an Rückstellungen für Rückrufe werden erst der Anfang gewesen sein", sagte Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB. Er geht davon aus, dass der Schaden am Ende bei mehr als 30 Milliarden Euro liegen wird. "Ich glaube, in Amerika wird es für Volkswagen noch richtig teuer." Denn für Rechtsstreitigkeiten, die in den USA üblicherweise sehr teuer werden können, hat VW noch kein Geld auf die Seite gelegt.

Die Manipulation von Abgaswerten war im September von der US-Umweltbehörde EPA öffentlich gemacht worden. Alleine in den USA drohen Volkswagen Strafzahlungen von umgerechnet bis zu 16 Milliarden Euro. Auch in anderen Ländern ermitteln Behörden gegen das Unternehmen. Auf den niedersächsischen Konzern rollt zudem eine Prozesslawine zu: Anwälte sammeln Munition für Schadensersatzklagen, Investoren wollen erlittene Kursverluste erstattet haben. Hinzu kommen Kosten für die Rücknahme beanstandeter Fahrzeuge.

SPITZE DES EISBERGES

Klaus Breitenbach von der Baader Bank rechnet mit weiteren Kosten, wenn im kommenden Jahr die Rückrufaktionen beginnen. Arndt Ellinghorst von Evercore ISI begrüßte indes, dass VW die Rückstellungen jetzt nicht wesentlich erhöht hat. Zusammen mit der hohen Netto-Liquidität, also dem hohen Bestand an flüssigen Mitteln, sollte dies Investoren beruhigen. Nach neun Monaten verfügte Volkswagen wegen des starken operativen Geschäfts und des Verkaufs der Beteiligung an Suzuki über Barmittel in Höhe von 27,8 Milliarden Euro - gut zehn Milliarden mehr als Ende vergangenen Jahres.

Auf den Absatz von Fahrzeugen zwischen Juli und September hatte der Abgasskandal noch keine größeren Auswirkungen, da die Manipulation erst zum Ende des Quartals bekannt geworden war. Allerdings musste Volkswagen die Weltmarktführung wieder an Toyota abgeben. In den ersten neun Monaten lieferten die Wolfsburger weltweit 7,43 Millionen Fahrzeuge aus, 1,5 Prozent weniger als vor Jahresfrist. Der japanische Rivale schlug im gleichen Zeitraum 7,49 Millionen Fahrzeuge los.

Als Reaktion auf den Skandal verschärft VW seinen Sparkurs. Bei den Wolfsburgern bleibt in den nächsten Monaten kein Stein auf dem anderen. Die Marken bekommen mehr Verantwortung für Modellpolitik, Vertrieb und Produktion in den Regionen. Zudem will der neue Konzernchef Müller dem Autoimperium eine neue Kultur verpassen, in der Fehlentwicklungen nicht mehr wie unter seinem Vorgänger Martin Winterkorn unter den Teppich gekehrt werden. Dies gilt mit als Ursache für den Abgasskandal.

WAS KOMMT NOCH?

Die geplante Neuorganisation in den USA legt der Konzern dagegen auf Eis, solange nicht klar ist, ob Dieselautos dort nach dem Skandal überhaupt noch eine Chance haben. Das VW-Management will zunächst versuchen, mit Behörden und Klägern eine Einigung über drohende Straf- und Schadensersatzzahlungen zu erreichen, hatte Reuters von mit den Beratungen vertrauten Personen erfahren.

Rivale Toyota glaubt trotz des Abgas-Skandals beim Erzrivalen an die Zukunft der Diesel-Technologie. "Diesel hat seine Vorzüge, und es wäre falsch, wenn der Skandal das Ende des Diesel-Gebrauchs bedeuten würde", sagte Unternehmenschef Akio Toyoda in Tokio. Der japanische Hersteller werde jedenfalls weiter auf Diesel-Motoren setzen.

Das Kerngeschäft von Volkswagen läuft vorerst rund: Der Umsatz kletterte auf 160 Milliarden Euro. Der Betriebsgewinn legte auf 10,2 Milliarden Euro zu. Abzüglich der Rückstellungen brach der operative Gewinn allerdings um zwei Drittel auf 3,3 Milliarden Euro ein. "Die Zahlen zeigen einerseits die starke Substanz des Volkswagen Konzerns, andererseits treten ersten Auswirkungen der derzeitigen Situation zu Tage", sagte Müller.

Wegen der hohen Belastungen durch den Skandal rechnet er für dieses Jahr mit einem operativen Ergebnis deutlich unter den 12,7 Milliarden Euro des Vorjahres. Um den Abgasbetrug zu beenden, müssen die Niedersachsen europaweit acht Millionen Dieselfahrzeuge in die Werkstätten rufen. Weltweit sind bis zu elf Millionen Autos betroffen.

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