Reuters

Lohnkluft zwischen Gering- und Besserverdienern nimmt ab

14.09.2020
um 13:12 Uhr

Berlin (Reuters) - Die Lohnkluft in Deutschland hat sich durch die Einführung des bundesweiten gesetzlichen Mindestlohns erstmals leicht verringert.

2018 erhielten Besserverdiener das 3,27-Fache des Bruttostundenlohnes von Geringverdienern, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. 2014 sei es noch das 3,48-Fache gewesen. Damit habe es "erstmals eine Tendenz zur Lohnangleichung" gegeben, erläuterten die Statistiker unter Berufung auf ihre alle vier Jahre durchgeführten Untersuchung. Diese beruht auf einer Stichprobe von 60.000 Betrieben.

Der Wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien wertete die Entwicklung als "gutes Zeichen". "Das zeigt, dass der Mindestlohn wirkt", sagte er. Der Mindestlohn war 2015 eingeführt worden. 2018 betrug er 8,84 Euro, aktuell liegt er bei 9,35 Euro. Die geringere Lohnspreizung sei wünschenswert, sagte Dullien. "Das stützt die Konjunktur, da die private Nachfrage gestärkt wird", ergänzte er. "Die oberen Einkommensgruppen stecken einen geringeren Teil ihres verfügbaren Einkommens in den Konsum als die untere. Außerdem ist es sozial wünschenswert, wenn die weniger Betuchten mehr Geld zur Verfügung haben."

Besonders deutlich schließt sich die Lohnschere in Ostdeutschland, stellten die Statistiker fest. Hier bekamen Besserverdienende das 2,80-Fache des Bruttostundenlohnes von Geringverdienenden. 2014 war es noch das 3,31-Fache gewesen. In Westdeutschland war dieser Trend deutlich schwächer (3,47 im Jahr 2014 und 3,29 im Jahr 2018). Eine Angleichung des Unterschieds zwischen Ost und West sei insbesondere bei Geringverdienenden auszumachen, die die unteren zehn Prozent der Lohnskala stellten. Bei Besserverdienenden - den oberen zehn Prozent - ermittelten die Statistiker dagegen keine Angleichung.

Insgesamt zählte 2018 jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis zum Niedriglohnsektor. Der Anteil in Ostdeutschland ist mit 29,1 Prozent noch immer deutlich größer als im Westen (einschließlich Berlin) mit 20,0 Prozent. Während der Anteil im Osten 2018 um 5,4 Punkte sank, stieg er in Westdeutschland um 0,7 Prozentpunkte. Der Anteil der Beschäftigungsverhältnisse im Hochlohnbereich ging in beiden Regionen leicht zurück. Dabei lag er zuletzt im Westen mit 22,3 Prozent fast doppelt so hoch wie im Osten mit 11,2 Prozent.

"Da der Mindestlohn weiter angehoben wird, dürfte sich die Lücke noch ein bisschen schließen", sagte IMK-Forscher Dullien. "Auch eine Erhöhung der Tarifbindung im unteren Lohnbereich würde den Trend noch einmal verstärken." Um Geringverdienern die Chance auf bessere Teilhabe zu geben, gehöre aber noch mehr dazu – etwa eine bessere Kinderbetreuung oder ein verstärkter öffentlicher Wohnungsbau, damit diese Menschen in der Stadt leben können, in der sie arbeiten. Auch könne man ein Steuersystem schaffen, in dem sehr Reiche mehr bezahlen und das untere Ende der Haushaltseinkommen stärker entlastet werde – etwa bei Sozialbeiträgen und durch höhere Transferleistungen wie Kindergeld.