Reuters

Warmer Geldregen für Italien - Chance und Risiko zugleich

21.09.2020
um 07:27 Uhr

- von Gavin Jones und Giuseppe Fonte

Rom (Reuters) - Italien winkt die gigantische Summe von geschätzten 209 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU.

Damit sind große Hoffnungen, aber auch Risiken verbunden: Wird der warme Geldregen in dem chronisch wachstumsschwachen Land zu einer Wirtschaftsblüte führen - oder versickern die Milliarden am Ende in der unproduktiven italienischen Bürokratie? Regierungschef Giuseppe Conte sagt dazu: "Es ist eine unglaubliche Summe, eine historische Chance und eine ungeheure Verantwortung." Skeptiker befürchten, dass er sich bei der Aufgabe verheben könnte. Denn Italien ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte, wenn man die Verwendung von Hilfsgeldern aus Brüssel betrachtet.

Wenn es schlecht läuft und die zu 60 Prozent aus billigen Krediten bestehenden Hilfen verpuffen, droht die ohnehin hohe Staatsverschuldung auszuufern. Dann könnte Italien an den Rand einer Staatspleite geraten. Die EU-Kommission hat dem Land in ihrer Frühjahrsprognose, die die Folgen der Virus-Krise noch nicht in vollem Umfang abbildet, für 2020 eine Verschuldungsquote von 158,9 Prozent der Wirtschaftsleistung vorhergesagt. Nur das vor einigen Jahren hart an der Staatspleite vorbeigeschrammte Griechenland hat mit prognostizierten 196,4 Prozent einen höheren Wert in der Euro-Zone.

WUNSCHLISTE AUS ROM IST ELLENLANG

Italien meldet einen ungeheuren Aufholbedarf in puncto Modernisierung an, der die von der EU in Aussicht gestellte Summe offenbar um ein Vielfaches übersteigt. So haben die Ministerien in Rom 557 Vorschläge für Projekte ausgearbeitet, die sich auf insgesamt 680 Milliarden Euro addieren. Die Wunschliste für die erhofften Hilfsgelder, die in mehreren Tranchen zwischen 2021 und 2023 fließen sollen, reicht von der Entwicklung von mit Wasserstoff betriebenen Autos bis hin zu modernsten Olivenpressen. Ein Blick in die Datenbanken der EU-Kommission lässt Skeptiker daran zweifeln, dass Italien die Chance zur Modernisierung des Landes nutzen kann. Zwischen 2014 und 2020 wurden nur rund 40 Prozent der von Brüssel für Projekte bewilligten und von der EU ko-finanzierten Mittel auch ausgegeben. Damit landet Italien in der EU nur auf einem der hinteren Plätze.

Die Europäische Kommission hat einen Leitfaden vorgelegt, wie die EU-Staaten Gelder aus dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds am besten einsetzen sollen - von der Nutzung erneuerbarer Energien, über den Ausbau der Mobilfunknetze bis hin zur Digitalisierung staatlicher Behörden sowie des Justiz-, Gesundheits- und Bildungssystems. In diesen Institutionen hakt es in Italien allerdings gewaltig. Denn die ineffiziente Bürokratie und das träge Justizsystem hemmen seit Jahrzehnten die Entwicklung des Landes, ohne dass dies allein mit einem Mangel an Geld zu erklären wäre. "Die unzureichenden Produktivitätskennzahlen, die sich bei uns anhäufen, können nicht mit Geldpolitik oder höheren Ausgaben zurechtgerückt werden", sagt der Ökonom Fabrizio Balassone von der Zentralbank in Rom.

PROBLEME LIEGEN TIEFER

Die Corona-Krise hat das Mittelmeerland hart getroffen. Doch seine Probleme reichen viel weiter zurück. Das Verkehrssystem ist marode, die Geburtenrate ist eine der niedrigsten weltweit, und die wirtschaftliche Kluft zwischen dem vergleichsweise reichen Norden und den strukturschwachen südlichen Regionen im sogenannten Mezzogiorno ist tief. Seit Jahrzehnten ist das Land wirtschaftlich kaum gewachsen. Mit der Corona-Rezession wird das um die Inflation bereinigte Bruttoinlandsprodukt laut einer Projektion der Zentralbank Ende dieses Jahres sogar unter dem Niveau von 1998 liegen.

Mit dem warmen Geldregen aus Brüssel verbinden sich in Italien nun große Hoffnungen - insbesondere was das Wachstum betrifft. Doch sollte die erhoffte Schubwirkung ausbleiben, könnte das hoch verschuldete Land ins Visier der Investoren an den Finanzmärkten geraten. Ökonomie-Professor Roberto Perotti von der Bocconi-Universität Mailand zeichnet ein düsteres Szenario: "Es besteht ein enormes Risiko, dass wir unfähig sind das Geld auszugeben oder dass wir es verschwenden. In diesem Fall steuern wir in ein paar Jahren auf eine Finanzkrise zu."