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Nur noch Schrott? Alte Solar- und Windanlagen fallen aus der Förderung

23.09.2020
um 07:17 Uhr

- von Tom Käckenhoff und Vera Eckert und Christoph Steitz und Markus Wacket

Düsseldorf/Frankfurt/Berlin (Reuters) - Mit dem Ende der bisherigen staatlichen Förderung für die erste Generation von Solaranlagen und Windrädern droht ab 2021 der Energiewende in Deutschland ein Rückschlag.

Nach 20 Jahren erhalten die Betreiber nicht mehr die gewohnten Zuschläge für die Einspeisung ihres Stroms in das Netz. Jeder Betreiber müsse nun genau kalkulieren, ob sich der Betrieb noch lohnt, oder ein Abschalten angesagt ist, raten Verbraucherschützer. Schon 2021 geht es um Ökostrom-Anlagen mit einer Gesamt-Leistung, die mehreren Atomkraftwerken entspricht. Energie-Konzerne stehen mit Dienstleistungen zum Weiterbetrieb bereit. In der Bundesregierung wird noch um ein Gesetz gerungen.

Einer, der den Ausgang der Beratungen genau beobachten wird, ist Wilfried Haas. Der 62-Jährige hat seit 1992 eine Solaranlage auf dem Dach seines Hauses im Großraum Ingelheim. "Es war ursprünglich ein ideelles Projekt. Ab 2000 haben wir dann den Strom aber aufgrund der hohen Vergütung eingespeist." Die Anlage sei noch gut in Schuss und könne nochmal solange laufen. Das sei wirtschaftlich, solange keine größere Reparatur fällig werde. "In dem Fall wird die finanzielle Belastung zu groß, sodass sich ein Weiterbetrieb bei der aktuellen Rechtslage voraussichtlich nicht mehr lohnt. Das ist eigentlich ein Irrsinn."

Die Rahmenbedingungen für Ü20-Anlagen betreffen nicht nur Hauseigentümer wie Haas, die den größten Teil der Solaranlagen stellen. Sie gelten auch für Firmen, Landwirte, Kommunen oder Bürgergenossenschaften, die Solarparks betreiben oder sich die höheren Anschaffungs- und Wartungskosten für Windenergieanlagen teilen. Die zur Disposition stehenden Kapazitäten sind enorm. Experten zufolge müssen ab dem 1. Januar die Besitzer von rund 4.000 Windrädern mit einer Leistung von insgesamt etwa 4,5 Gigawatt auf die bisherige Förderung verzichten. Die Kapazität entspricht etwa vier Atomkraftwerken - genug, um 2,1 Millionen Haushalte zu versorgen. Zwischen 2022 und 2026 würden es jährlich etwa 2,5 Gigawatt sein. Mit Beginn des Jahres 2021 fallen zudem rund 18.000 Photovoltaik-Anlagen aus der Förderung.

KRITIKER SCHLAGEN ALARM - DROHT RÜCKBAU STATT AUSBAU?

Über den bisherigen Entwurf der Novelle für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) berät am Mittwoch das Kabinett. Das Umweltministerium drängt auf Nachbesserungen. Im Laufe des Verfahrens sind Anpassungen wahrscheinlich. In dem bisherigen Entwurf wird betont, dass der Bereich soweit wie möglich marktgetrieben sein soll. Die Anlagenbetreiber können ihren Strom direkt vermarkten und dadurch Erlöse für den Weiterbetrieb erzielen. Die Besitzer kleiner Anlagen wird übergangsweise angeboten, den erzeugten Strom bis Ende 2027 auch dem Netzbetreiber zur Verfügung stellen, wofür sie den Marktwert abzüglich der Vermarktungskosten bekämen. Und sie können ihren eigenen Stromverbrauch damit decken.

Kritiker halten die Anreize für unzureichend. "Wir brauchen deutlich mehr Windenergie für eine kosteneffiziente Energiewende", sagt das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall, Wolfgang Lemb. Stattdessen drohe Stillstand von zwei Seiten - fehlende Flächen für den Neubau und Rückbau von alten Windanlagen. "Wir müssen aufpassen, dass uns das Erreichte nicht wegbricht." Es müsse flexiblere Regelungen für den Ersatz alter Anlagen durch neue - das sogenannte Repowering - geben, ebenso Konzepte für den wirtschaftlichen Weiterbetrieb von Altanlagen. "Da sehe ich beim Entwurf zum EEG 2021 bisher eine Leerstelle."

ENERGIEKONZERNE IM GESCHÄFT

Die großen Energiekonzerne wittern in der Entwicklung ein Geschäft: "In den kommenden sechs Jahren fallen mehr als 195.000 Solaranlagen aus der EEG-Förderung", erklärt der Energiekonzern E.ON. Das Unternehmen arbeite an Lösungen, um Kunden einen wirtschaftlich sinnvollen Weiterbetrieb ihrer Photovoltaik-Anlagen zu ermöglichen. "Wir begleiten die Kunden bei der Anpassung der Messtechnik und ermöglichen ihnen so den Verbrauch des selbst produzierten Stroms." Gleichzeitig nehme E.ON als Direktvermarkter den überschüssigen Strom ab. Der Kunde könne im Gegenzug eine jährliche Gutschrift bekommen.

Auch der norwegische Energiekonzern Statkraft ist in diesem Markt in Deutschland unterwegs. "Der Weiterbetrieb von Windanlagen über den Ablauf der EEG-Förderung hinaus ist eines der Schlüsselthemen in den kommenden Jahren – nicht nur für Betreiber und Eigentümer von Windparks", erklärt Sascha Schröder, Vice President Central European Origination. Zu den Leistungen gehörten etwa die Vermarktung des Stroms an der Börse oder Verkauf des grünen Stroms an Gewerbe- und Industriekunden.

Manchmal lohnt sich auch eine Modernisierung von Altanlagen, um mehr herauszuholen. Der Ökostromanbieter Naturstrom machte dies kürzlich bei zwei älteren Windkraftanlagen in Thüringen deutlich. Das neue Windrad habe mit 2350 Kilowatt deutlich mehr Leistung als die beiden ehemaligen Anlagen, die zusammen auf 1700 Kilowatt kamen. Die Verbraucherzentrale rät den Betreibern von Solaranlagen aber, diese von einem Fachbetrieb überprüfen zu lassen. Die Umstellung auf den Eigenverbrauch lohne nicht immer. "Bei kleinen Ü20-Anlagen sparen Sie durch den Eigenverbrauch des Solarstroms häufig nicht so viel, dass sich der Aufwand für Anlagencheck, Umrüstung auf Eigenverbrauch und laufenden Anlagenbetrieb lohnt." Ökostrom-Pionier Haas will weitermachen. Für ihn sei die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 ein Schlüsselerlebnis gewesen. "Uns liegt der Umweltschutz am Herzen."

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