Reuters

Neues Gesetz macht Corona-geschädigten Firmen Hoffnung

28.09.2020
um 08:57 Uhr

- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Milliarden an Krediten hat die Bundesregierung in der Corona-Krise in deutsche Unternehmen gepumpt.

Doch was, wenn die Hilfe zum Überleben am Ende lebensgefährlich wird, weil Zins und Tilgung die Firmen erdrücken? "Da ist man auf dem Holzweg, wenn man glaubt, dass das alles mit Zinsen zurückgezahlt wird", unkt der auf Sanierungsfälle spezialisierte Investmentbanker Oliver Kehren von Morgan Stanley. Denn allzu kritisch habe der Staat bei der Vergabe der Kredite nicht hingeschaut, ob die Probleme wirklich nur durch die Pandemie ausgelöst wurden oder doch hausgemacht waren, merkt Karstadt-Kaufhof-Sanierer Frank Kebekus kritisch an. Die Rettung für Corona-gebeutelte Firmen könnte ein neues Gesetz sein, mit dem Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) auch die langgehegten Träume von Restrukturierungsexperten erfüllt: Endlich müssen Unternehmen nicht mehr zwangsläufig zum Insolvenzrichter, um ihre Finanzen in Ordnung zu bringen.

Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) ermöglicht zum ersten Mal eine Sanierung ohne das Stigma der Insolvenz. Die Angst davor hatte viele Unternehmen und Geschäftsführer zögern lassen, oft bis es zu spät war, um noch etwas zu retten. Spätestens zum 1. April 2021 soll das Gesetz in Kraft treten. "Der Zeitpunkt ist gut gewählt - es greift dann, wenn die Erleichterungen aus der Coronakrise auslaufen", sagt Michael Baur, Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Alix Partners. "Ein ganz großer Wurf", lobt Rechtsanwalt Frank Grell, der für die Kanzlei Latham & Watkins zahllose Sanierungen begleitet hat.

Noch bis Jahresende sind Unternehmen ohnehin von einem Insolvenzantrag befreit, wenn sie "nur" überschuldet sind. Das bedeutet, dass sie noch nicht zahlungsunfähig sind, dass ihre Schulden sie aber auf absehbare Zeit überfordern würden. Die Insolvenzwelle, die Experten nach der Coronakrise befürchten, könnte durch das StaRUG zumindest abgemildert werden.

DREI WOCHEN MEHR ZEIT

Denn das Gesetz setzt primär an den Finanzen der Firmen an. Künftig soll es reichen, wenn 75 Prozent der Gläubiger einer Sanierung zustimmen. Und um den überschuldeten Unternehmen genug Zeit zum Verhandeln zu geben, müssen sie erst nach sechs statt nach drei Wochen zum Insolvenzrichter gehen. Das ist wichtig, denn bisher nutzen findige ausländische Investoren die Tatsache aus, dass ein Krisen-Unternehmen sich mit allen Gläubigern einigen muss, wie Baur erläutert. Sie kaufen den Banken einen Teil der Kredite mit hohen Abschlägen ab und blockieren eine Lösung, um sich Vorteile zu verschaffen. Gegen diese Erpressung bleibt die Insolvenz oft als einziger Ausweg.

"Restrukturierungsplan" heißt das neue Zauberwort, mit dem sich Unternehmen ohne einen Insolvenzverwalter sanieren können. Vorbild dafür ist das britische "Scheme of Arrangement". Mit dem Schutzschirmverfahren hatte der deutsche Gesetzgeber 2012 schon einmal ein solches vorinsolvenzliches Verfahren schaffen wollen. Doch Lieferanten und Banken bekamen schnell Wind davon, dass der Schutzschirm in den meisten Fällen in die Insolvenz mündete, und stellten eilends ihre Forderungen fällig - womit die Insolvenz erst recht unausweichlich wurde. Angeschlagene Firmen scheuten den Schutzschirm, weil er trotz allem den Makel der Pleite trug. Das konterkarierte die Bemühungen der Sanierer, die sich oft zu spät an Bord geholt fühlen. Das Justizministerium räumt eine "negativ konnotierte Publizität von Insolvenzverfahren" ein. Für das neue Verfahren ist dagegen kein formeller Antrag nötig, die Hemmschwelle für die Geschäftsführung ist gering.

NICHT IMMER GEHT ES OHNE INSOLVENZ

"Man merkt, dass das Ministerium diesmal auch Fachleute aus der Praxis einbezogen und das nicht nur im stillen Kämmerlein entworfen hat", lobt Alix-Partner Baur. "Wer präventiv zum Arzt geht, kann Krankheiten früher behandeln und hat damit deutlich bessere Chancen auf Heilung." Ein Allheilmittel ist das StaRUG allerdings nicht. Zwar lassen sich damit Verpflichtungen wie Kredite oder langfristige Mietverträge loswerden. Doch wenn die Probleme tiefer liegen, kommt ein Unternehmen um die Insolvenz nicht herum, wie der bekannte Insolvenzverwalter Lucas Flöther betont. Arbeitsverträge und Pensionsverpflichtungen nämlich dürfen durch den Restrukturierungsplan nicht angetastet werden. Berater Baur bringt es auf den Punkt: "Wenn ein Unternehmen kein überzeugendes operatives Restrukturierungskonzept hat, ist die finanzielle Sanierung zum Scheitern verurteilt."

Alle Firmen zu retten, sei aber ohnehin nicht der Sinn der Sache, betont Klaus-Peter Naumann, der Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW): "Eine künstliche Lebensverlängerung nicht mehr wettbewerbsfähiger Unternehmen würde auch die verbleibenden gesunden Unternehmen der Branche in Mitleidenschaft ziehen."