Reuters

Corona-Neuinfektionen in Deutschland erstmals über 10.000 - Warnung des RKI

22.10.2020
um 11:52 Uhr

- von Andreas Rinke und Alexander Ratz

Berlin (Reuters) - In Deutschland ist die tägliche Zahl der Corona-Neuinfektionen zum ersten Mal in der Pandemie über die Schwelle von 10.000 geschnellt.

Der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, warnte am Donnerstag deshalb, dass sich das Virus in einigen Gebieten mittlerweile unkontrolliert ausbreiten könne, weil eine Nachverfolgung von Infektionsketten nicht mehr völlig möglich sei. "Inzwischen ist die Situation insgesamt sehr ernst geworden", sagte Wieler in Berlin. Es sei aber möglich, eine Entwicklung wie in den Niederlande oder Belgien noch abzuwenden. Wieler forderte dafür eine strikte Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mahnte, dass die Nachverfolgung der Infektionsketten nicht aufgegeben werden dürfe.

Das RKI hatte am Donnerstag gemeldet, dass in Deutschland innerhalb eines Tages 11.287 Menschen positiv auf das neuartige Virus getestet wurden. Der bisherige Höchstwert lag bei 7830, am Mittwoch waren es noch 7595 gewesen. Die Zahl der gemeldeten Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus erhöht sich um 30 auf 9905. In etlichen EU-Staaten wie Polen stieg die Zahl der Neuinfektionen ebenfalls auf neue Höchstwerte. Gemessen an den Bevölkerungszahlen ist die Lage dort allerdings bedrohlicher als in Deutschland. In Belgien, den Niederlanden und Tschechien stoßen die Gesundheitssysteme bereits an ihre Grenzen.

Wieler verwies wie zuvor etliche Bundesländer darauf, dass Deutschland derzeit noch Kapazitäten zur Aufnahme und Behandlung von schwererkrankten Corona-Patienten aus Nachbarstaaten habe. Das RKI erklärte aufgrund der steigenden Neuinfektionen ganz Österreich bis auf Kärnten zum Risikogebiet. Dasselbe gilt für die Schweiz, Irland, Polen und jetzt auch weite Teile von Italien. Am Mittwoch war mit Gesundheitsminister Jens Spahn erstmals ein Bundesminister positiv auf das Virus getestet worden.

Derzeit steckten sich zwar weiter vor allem Jüngere an, weshalb bisher weniger schwere Krankheitsverläufe zu verzeichnen seien, sagte der RKI-Chef. Aber die Zahl der älteren Infizierten, der Schwerkrankten und Patienten auf Intensivstationen wachse auch in Deutschland immer weiter. "Wir haben den Werkzeugkasten und damit können wir das schaffen", mahnte der RKI-Chef zur Eindämmungsstrategie.

WIELER: HERDENIMMUNITÄT GESCHEITERT

Er forderte vor allem strenge Abstands- und Hygiene-Regeln im privaten Bereich ein. Auch die Corona-Warn-App, die mehr als 20 Millionen mal heruntergeladen wurde und Hinweis auf Kontakte mit Infizierten geben soll, werde weiterentwickelt. Man habe gesehen, dass sich das Virus vor allem im privaten Bereich bei Treffen verbreite, dagegen weniger in Verkehrsmitteln oder in Hotels.

Eine Änderung der Corona-Stragie lehnt Wieler ebenso wie Söder ab. Allerdings sprach sich Wieler auch gegen neue Schwellenwerte aus, wie dies Bayerns Ministerpräsident gefordert hatte. Söder hatte neben den Schwellenwerten von 35 und 50 Infizierten pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche noch einen zusätzlichen Wert von 100 gefordert, ab dem etwa eine Sperrstunden ab 21.00 Uhr greifen solle. Hintergrund ist, dass es viele Kreise gibt, in denen die Infektionswerte mittlerweile bei mehr als 100 Infizierten pro 100.000 Bewohnern liegt. Im Berchtesgadener Land gilt deshalb ein teilweiser Lockdown mit Schließung von Restaurants, Schulen und Kitas. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki kritisierte dies als unverhältnismäßig.

Er rechne damit, dass 2021 in Deutschland Corona-Impfstoffe zugelassen würde, sagte Wieler. Es sei allerdings unklar, wann genau dies sein könne. Zugleich warnte der RKI-Chef vor einer neuen Diskussion über eine sogenannte Herdenimmunität. Dieses Konzept, das eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus vorsieht, sei mittlerweile in allen Ländern fallen gelassen worden, sagte er mit Hinweis auf entsprechende Versuche in Großbritannien und Schweden. Die Folge einer solchen Politik wären hunderttausende Schwererkrankte in Deutschland.