Reuters

Ein Volk in Quarantäne? - Corona erzwingt immer mehr Zwangspausen

26.10.2020
um 13:27 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen in Deutschland müssen immer mehr Menschen in Quarantäne - mit zunehmenden Folgen für die Wirtschaft.

Risklayer, eine Corona-Beobachtungs- und Analyse-Plattform im Internet mit Sitz in Karlsruhe, kommt auf Grundlage der Meldungen der Landkreise mittlerweile auf eine Zahl von mehr als 350.000 Personen, die sich in Quarantäne befinden - Ende September waren es noch 140.000. Die Fälle der Selbstisolation und Eltern, die wegen geschlossener Schulen oder Kitas wieder zuhause bleiben müssen, sind dabei noch nicht mitgezählt.

Angesichts dieser Entwicklung schlägt die Wirtschaft Alarm. "Mit steigenden Infektionszahlen erhöht sich die Gefahr für unsere Betriebe, dass Beschäftigte entweder selbst wegen einer Infizierung oder aber wegen einer vom Gesundheitsamt angeordneten Quarantäne nicht zur Arbeit kommen können", sagt der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, zu Reuters. "Wir können uns gesellschaftlichen und privaten Leichtsinn im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten, weil er mit betrieblichen und wirtschaftlichen Einbußen einhergeht."

Zwar haben Bundes- und Landesregierungen beschlossen, dass sie einen Lockdown für die Wirtschaft so lange wie möglich vermeiden wollen. Aber in der Republik zeichnet sich nun eine Art informelles Ausdünnen der Betriebe ab. Deutlich wird dies bereits in Kliniken, die über stark steigende Zahlen an Personal auch auf Intensivstationen klagen, die entweder infiziert oder aber in Quarantäne sind. Wirtschaftsverbände hatten zudem schon in der ersten Welle davor gewarnt, dass Mitarbeiter fehlten, wenn Eltern ihre Kinder zuhause betreuen müssten.

Beim Wirtschaftswachstum insgesamt seien die Auswirkung derzeit zwar noch begrenzt und beliefen sich auf einen BIP-Effekt von 0,1 bis 0,2 Prozent, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, zu Reuters. Im Vergleich zu allen anderen Faktoren sei das bisher zweitrangig. "Für einzelne Bereiche wie Gesundheitswesen und Handwerk, in denen es auf Präsenz ankommt, dürfte der Effekt allerdings deutlich größer sein", räumt er ein.

DAS VIRUS SCHLÄGT ÜBERALL ZU

Die Zahl der Betroffenen - Infizierte wie Kontaktpersonen - dürfte weiter steigen. Zwar betonen das Robert-Koch-Institut und das Bundesgesundheitsministerium, dass die Landkreise die Zahl der Quarantäne-Betroffenen nicht melden müssten und es deshalb keine offiziellen Zahlen gebe. "Aber mittlerweile weisen zumindest 140 von den rund 400 Landkreisen tatsächlich auch die Quarantäne-Fälle aus", sagt James Daniel, Geschäftsführer von Risklayer. Und derzeit müsse man mit einem Faktor von 4,2 rechnen - pro Infiziertem werden also im Schnitt vier weitere Personen für zwei Wochen in Quarantäne geschickt.

Auch wenn immer mehr Menschen betroffen sind: Alternativen dazu sehen die Gesundheitsämter im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus nicht. "Entweder Quarantäne ist aus medizinischen Gründen notwendig oder nicht", sagt auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Union, Karin Maag. "Da kann es angesichts gestiegener Infektionszahlen dann keine Ausnahmen geben."

Die in den vergangenen Monaten ausgeweiteten Corona-Tests bieten dabei nur eine geringe Entlastung. Denn sie schlagen erst einige Tage nach einer Infektion an. Deshalb gilt seit dem 15. Oktober die Regel, dass Rückkehrer aus ausländischen Risikogebieten mindestens fünf Tage in Quarantäne bleiben müssen. Erst wenn sie dann ein negatives Testergebnis vorweisen können, können sie die häusliche Isolation beenden.