Reuters

Bund plant drastische Einschränkungen - Zahl Corona-Toter steigt

28.10.2020
um 10:57 Uhr

- von Andreas Rinke und Sabine Siebold

Berlin (Reuters) - Angesichts der immer rascheren Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie schlägt die Bundesregierung drastische Einschränkungen für den kommenden Monat vor.

Ab 4. November sollen Gastronomie sowie alle Freizeit- und Sporteinrichtungen schließen, geht aus einer Reuters vorliegenden Vorlage für die Verhandlungen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch hervor. Zudem soll es massive Kontaktbeschränkungen geben: Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit soll "ab sofort" nur mit den Angehörigen des eigenen und eines weiteren Hausstandes gestattet werden. Beherbergungen sollen nur noch für nicht-touristische Zwecke möglich sein. Betroffene Betriebe sollen mit einer "Nothilfe" entschädigt werden. Industrie und Handwerk, Schulen und Kindertagesstätten sollen dagegen offen bleiben. Ob die Länder zustimmen, gilt als offen.

Das Robert-Koch-Institut meldete am Mittwoch 14.964 neue Ansteckungsfälle binnen 24 Stunden. In Regierungskreisen zeigte man sich besonders besorgt darüber, dass innerhalb eines Tages 85 Menschen im Zusammenhang mit Corona starben. Dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den vergangenen Tagen. Virologen warnen, dass die Zahl der Intensivpatienten und auch Toten zeitverzögert zu den Infektionszahlen ansteigen wird. EU-Ratspräsident Charles Michel äußerte sich sehr besorgt über die Lage in Europa, wo in vielen Ländern die Zahlen auf neue Rekordwerte steigen. Tschechien etwa meldete 15.663 Neuinfektionen, die Zahl der Corona-Toten stieg dort innerhalb von 24 Stunden um 182.

Gesundheitsminister Jens Spahn warnte vor Engpässen in Krankenhäusern. "Wenn wir warten, bis die Intensivstationen voll sind, ist es zu spät", sagt er dem SWR. Im europäischen Ausland seien die Krankenhäuser schon wieder am Limit und es kämen auch wieder Hilfsanfragen an deutsche Kliniken.

Am Nachmittag werden Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten beraten, wie man die Pandemie eindämmen kann. Am Vormittag finden dazu Vorberatungen zwischen den Parteien und Ländern statt. Die Bundesregierung begründet die drastischen Vorschläge damit, dass zahlreiche Gesundheitsämter angesichts der stark gestiegenen Infektionszahlen eine vollständige Kontaktnachverfolgung nicht mehr gewährleisten könnten, "was wiederum zu einer beschleunigten Ausbreitung des Virus beiträgt". Deutschland stünden vier sehr harte Monate im Winter bevor, deshalb müsse man schnell und entschlossen reagieren. "Je später die Infektionsdynamik umgekehrt wird, desto länger bzw. umfassender sind Beschränkungen erforderlich", wird in der Vorlage gewarnt. "Wichtigste Maßnahme in der kommenden Zeit wird es sein, Abstand zu halten und Kontakte zu verringern. Die Bürgerinnen und Bürger werden angehalten, die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren."

Zugleich will der Bund die Hilfsmaßnahmen für betroffene Unternehmen verlängern. "Dies betrifft zum Beispiel den Bereich der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft. Außerdem wird der KfW-Schnellkredit für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten geöffnet und angepasst", heißt es. Bund und Ländern sollten nicht nur die Informationen über die neuen Corona-Maßnahmen, sondern auch die Kontrollen zur Einhaltung deutschlandweit deutlich ausbauen.

Schließen sollen nach Vorstellung des Bundes etwa Theater, Opern, Konzerthäuser, Messen, Kinos, Freizeitparks und Spielhallen. Der Freizeitsport soll im November gestoppt, Sportanlagen und Schwimmbäder sollen ebenso schließen wie Fitnessstudios. "Gastronomiebetriebe sowie Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen werden geschlossen", heißt es weiter. Nur der Außer-Haus-Verkauf soll erlaubt bleiben. Friseure sollen weiter arbeiten dürfen, Nagel- und Tattoostudios dagegen nicht. Medizinisch notwendige Behandlungen, zum Beispiel Physiotherapien, bleiben weiter möglich.

Neben den kurzfristigen Entschädigungen will der Bund Hilfsmaßnahmen für Unternehmen verlängern und die Konditionen für die hauptbetroffenen Wirtschaftsbereiche verbessern. Zudem solle der KfW-Schnellkredit für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten geöffnet und angepasst werden.

Die Länder hatten bei früheren Verhandlungsrunden deutliche Änderungen an den Vorschlägen der Bundesregierung vorgenommen. Der Bund schlägt vor, die Maßnahmen nach zwei Wochen zu überprüfen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) plädiert in der ARD für bundeseinheitliche Regelungen. Dagegen hatte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bereits am Dienstag angekündigt, er werde den Vorschlägen des Bundes nicht folgen. Schleswig-Holsteins Landeschef Daniel Günther (CDU) hatte betont, dass er strikt gegen eine Schließung der Gastronomie sei.