Reuters

Bund und Länder planen drastische Einschränkungen ab 2. November

28.10.2020
um 17:52 Uhr

- von Andreas Rinke und Holger Hansen

Berlin (Reuters) - Angesichts der immer rascheren Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie bereiten Bund und Länder drastische Einschränkungen schon ab kommendem Montag vor.

Die Bundesregierung strebt dabei an, Gastronomie sowie alle Freizeit- und Sporteinrichtungen für den kommenden Monat zu schließen. In den Verhandlungen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder zeichne sich ab, dass die Einschränkungen ab dem 2. November gelten sollen, hieß es aus Teilnehmerkreisen am Mittwoch. Wirtschafts- und Finanzministerium bieten Firmen, die von Zwangsschließung betroffen sind, eine "Nothilfe" von 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats an. Industrie, Handwerk, Geschäfte, Schulen und Kindertagesstätten sollen offen bleiben. Ob die Länder allen Punkten zustimmen, galt auch nach Beginn der Verhandlungen noch als offen. Scharfe Kritik kam von Ärzteverbänden sowie aus der Gastronomie.

Das Robert-Koch-Institut meldete am Mittwoch 14.964 neue Ansteckungsfälle binnen 24 Stunden. In Regierungskreisen zeigte man sich besonders besorgt darüber, dass innerhalb eines Tages 85 Menschen im Zusammenhang mit Corona starben. Dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den vergangenen Tagen. Eine Regierungssprecherin verwies darauf, dass sich derzeit auch die Zahl der belegten Intensivbetten alle zehn Tage verdoppele. EU-Ratspräsident Charles Michel äußerte sich sehr besorgt über die Lage in ganz Europa, wo in vielen Ländern die Zahlen erneut auf Rekordwerte stiegen. Tschechien etwa meldete 15.663 Neuinfektionen, die Zahl der Corona-Toten stieg dort innerhalb von 24 Stunden um 182. Gesundheitsminister Jens Spahn warnte vor Engpässen in Krankenhäusern. "Wenn wir warten, bis die Intensivstationen voll sind, ist es zu spät", sagte er dem SWR.

Noch am Mittwochabend will Merkel die Fraktionschefs im Bundestag über die Beschlüsse informieren. Am Donnerstagmorgen gibt die Kanzlerin im Bundestag eine Regierungserklärung zur Corona-Krise ab. Für Donnerstagabend ist dann eine Video-Schalte der 27 EU-Staats- und Regierungschefs geplant.

"SCHNELL UND ENTSCHLOSSEN REAGIEREN"

Die Bundesregierung begründet die drastischen Vorschläge damit, dass man einen akuten nationalen Gesundheitsnotstand abwenden müsse. Deutschland stünden vier sehr harte Monate im Winter bevor, deshalb müsse man schnell und entschlossen reagieren. "Je später die Infektionsdynamik umgekehrt wird, desto länger beziehungsweise umfassender sind Beschränkungen erforderlich", wird in der Vorlage des Bundes gewarnt. "Wichtigste Maßnahme in der kommenden Zeit wird es sein, Abstand zu halten und Kontakte zu verringern. Die Bürgerinnen und Bürger werden angehalten, die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren."

Schließen sollen nach Vorstellung des Bundes Theater, Opern, Konzerthäuser, Messen, Kinos, Freizeitparks und Spielhallen. Der Freizeitsport soll im November gestoppt, Sportanlagen und Schwimmbäder sollen ebenso dichtmachen wie Fitnessstudios. "Gastronomiebetriebe sowie Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen werden geschlossen", heißt es weiter. Nur der Außer-Haus-Verkauf soll erlaubt bleiben. Friseure sollen weiter arbeiten dürfen, Nagel- und Tattoostudios dagegen nicht. Medizinisch notwendige Behandlungen, zum Beispiel Physiotherapien, bleiben weiter möglich.

Neben den kurzfristigen Entschädigungen will der Bund Hilfsmaßnahmen für Unternehmen verlängern und die Konditionen für die hauptbetroffenen Wirtschaftsbereiche verbessern. Zudem solle der KfW-Schnellkredit für Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten geöffnet und angepasst werden. Kleine Betriebe, die schließen müssten, sollen 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats erhalten. Bei größeren Betrieben sollen es 70 Prozent sein, hieß es in Regierungskreisen.

"WENIGER SICHERE PRIVATE INNENRÄUME"

Die Länder hatten bei früheren Verhandlungsrunden deutliche Änderungen an den Vorschlägen der Bundesregierung vorgenommen. Während Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) für bundeseinheitliche Regelungen plädierte, kündigte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) an, er werde den Vorschlägen des Bundes nicht folgen. Schleswig-Holsteins Landeschef Daniel Günther (CDU) wiederum sprach sich gegen eine Schließung der Gastronomie aus.

Scharfe Kritik äußerten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sowie Dutzende von Mediziner-Fachverbänden. Insbesondere Ausgangssperren werden kritisch betrachtet: "Gesellschaftlich und infektionsepidemiologisch ist es besser, wenn Menschen sich in öffentlichen Räumen mit Hygienekonzepten unter optimalen Bedingungen treffen, als dass sich die sozialen Begegnungen in vergleichsweise weniger sichere private Innenräume verlagern", heißt es in einem gemeinsamen Papier.[nL8N2HJ61B] Härtere Regulierungen der Branche bis hin zu Schließungen führten nur dazu, dass soziale Kontakte in Privaträume verlagert würden, heißt es auch in einem offenen Brief von Vertretern der Gastro- und Handelsbranche an Merkel.

In Berlin demonstrierten Tausende Vertreter der Veranstaltungs- und Kulturbranche unterdessen am Mittwoch gegen weitere Einschränkungen. Dabei traten auch Campino von den Toten Hosen und der Schlagersänger Roland Kaiser auf.