Reuters

Drohender Lockdown 2.0 schickt Börsen auf Talfahrt

28.10.2020
um 18:12 Uhr

- von Hakan Ersen

Frankfurt (Reuters) - Aus Furcht vor einer erneuten Rezession fliehen Anleger aus den internationalen Aktienmärkten.

Dax und EuroStoxx50 fielen am Mittwoch um jeweils rund vier Prozent auf 11.560,51 und 2953,63 Punkte. An der Wall Street büßte der US-Standardwerteindex Dow Jones drei Prozent ein.

Die zweite Coronavirus-Welle habe Europa fest im Griff, sagte Volkswirtin Alessia Berardi vom Vermögensverwalter Amundi. Die Regierungen stünden unter wachsendem Druck, das öffentliche Leben drastisch einzuschränken. In Deutschland kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel neue Maßnahmen an. Medienberichten zufolge könnten in Frankreich ab Donnerstag ähnlich strenge Restriktionen eingeführt werden wie im Frühjahr.

"ANGSTBAROMETER" STEIGEN - LOCKDOWN ALS CHANCE?

Vor diesem Hintergrund stiegen die Volatilitätsindizes VDax und VStoxx, die die Nervosität der Anleger messen, jeweils auf ein Viereinhalb-Monats-Hoch von 42,10 und 39,92 Punkten. Gleiches galt für ihr US-Pendant Vix. Das vergleichbare Barometer für Euro-Anleger erreichte den höchsten Stand seit dem Börsen-Crash vom März.

Der Begriff "Lockdown" dürfe aber nicht zum Unwort verkommen, warnte Thomas Gitzel, Chef-Volkswirt der VP Bank. "Ein kurzer strikter Lockdown kann eine Chance sein." Würden die Infektionsketten durchbrochen, fühlten sich Verbraucher wieder sicherer und würden sich nicht in längerfristigem freiwilligen Konsumverzicht üben. Allerdings sei bislang nicht absehbar, dass diesmal ähnlich großzügige Hilfspakete aufgelegt würden, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, gab Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets zu bedenken.

ÖLPREIS FÄLLT - DOLLAR UND ANLEIHEN GEFRAGT

Spekulationen auf einen Nachfrage-Rückgang schickten auch den Ölpreis auf Talfahrt. Die Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um gut fünf Prozent auf 39,09 Dollar je Barrel (159 Liter). Verschärft werde der Verkaufsdruck durch die steigenden US-Lagerbestände, sagte Harry Tchilinguirian, Chef-Anlagestratege für Erdöl bei der Bank BNP Paribas. Im Sog des Ölpreises rutschte der Index für die europäischen Öl- und Gaswerte um drei Prozent ab. Die US-Ölkonzerne Exxon und Chevron gaben jeweils etwa zwei Prozent nach.

Gleichzeitig flüchteten Investoren in "sichere Häfen" wie Bundesanleihen. Dies drückte die Rendite der zehnjährigen Titel zeitweise auf minus 0,646 Prozent, den tiefsten Stand seit März. Gefragt war auch die Weltleitwährung. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen anderen Währungen widerspiegelt, gewann ein halbes Prozent. Dies setzte dem Goldpreis zu, weil das Edelmetall für Investoren außerhalb der USA unattraktiver wird. Es gab 1,3 Prozent auf 1881,67 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) nach.

REISE- UND AUTOWERTE UNTER DRUCK

Am Aktienmarkt flogen vor allem Reise- und Touristikwerte aus den Depots. Dieser Sektor leidet besonders stark unter Pandemie-Restriktionen. Der europäische Branchen-Index fiel um drei Prozent. An der Wall Street brachen Aktien von Kasino-Betreibern wie Wynn, Fluggesellschaften wie American Airline oder Kreuzfahrt-Veranstaltern wie Carnival um bis zu sieben Prozent ein.

Dem allgemeinen Abwärtstrend konnte sich auch die Deutsche Bank nicht entziehen, obwohl das Institut in die schwarzen Zahlen zurückkehrte. Die Aktie büßte fast zwei Prozent ein. "Die Zahlen sind zwar ermutigend", sagte CMC-Experte Hewson. "Die große Frage ist aber, ob sie auch nachhaltig sind.

Mit Erleichterung reagierten Investoren dagegen auf den geringer als befürchtet ausgefallenen Quartalsverlust und den gestoppten Mittelabfluss bei General Electric (GE). Die Messlatte für den Siemens-Rivalen habe allerdings niedrig gehangen, gab Analyst Gautam Khanna vom Vermögensverwalter Cowen zu Bedenken. Der bevorzuge daher andere Mischkonzerne wie Honeywell. GE-Aktien gewannen dennoch fast zehn Prozent.