Reuters

Entschädigung für Atomausstieg muss neu geregelt werden

12.11.2020
um 15:22 Uhr

Karlsruhe (Reuters) - Deutschland muss die Entschädigung von Atomkraftwerksbetreibern für den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie neu regeln.

Die bisherige Gesetzesnovelle genüge nicht und müsse zügig neu formuliert werden, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es gab damit der Verfassungsbeschwerde des schwedischen Versorgers Vattenfall statt. Bundesumweltministerin Svenja Schulze erklärte: "Wir werden das Urteil gründlich analysieren und zügig eine Gesetzesregelung auf den Weg bringen, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes gerecht wird." Bestandet werde nur ein Randbereich des Atomausstiegs - die Regelung für gewisse etwaige Ausgleichsansprüche von AKW-Betreibern.

Der Vattenfall-Konzern, zu dem die stillgelegten Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel gehören, begrüßte die Entscheidung. Der mit seinem nur kurz betriebenen Atommeiler Mülheim-Kärlich von der Entscheidung betroffene RWE-Konzern will das Urteil nun prüfen. "Nach erster Einschätzung wird sich unsere Rechtsposition definitiv nicht verschlechtern", sagte Finanzchef Markus Krebber.

Der Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie hat eine wechselvolle Vorgeschichte. Nachdem der Ausstieg zunächst unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) beschlossen wurde, verlängerten Union und FDP unter Kanzlerin Angela Merkel die Laufzeiten wieder. Nach dem Reaktorunfall in Fukushima im Jahr 2011 wurde dann aber wenige Monate später der beschleunigte Ausstieg bis Ende 2022 festgeschrieben, die verlängerten Laufzeiten wieder zurückgenommen. Grünen-Bundesvorsitzender Robert Habeck warf der Bundesregierung deshalb politische Kurslosigkeit und schlechtes Handwerk vor. Der ursprüngliche rot-grüne Atomausstieg wäre rechtssicher gewesen und hätte nichts gekostet, so Habeck.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Dezember 2016 den beschleunigten Ausstieg im Wesentlichen gebilligt, verlangte aber eine Entschädigung für die Reststrommengen, soweit diese von den Betreibern nicht mehr verwertet werden können. Andernfalls sei das Grundrecht auf Eigentum verletzt. Die Neuregelung sollte bis zum 30. Juni 2018 erfolgen. Daraufhin wurde die 16. Atomgesetz-Novelle verabschiedet, die auch Regelungen zu Ausgleichszahlungen enthält. Diese beanstandete das Bundesverfassungsgericht jetzt als unzureichend.

Zunächst stellten die Verfassungsrichterinnen und Richter fest, dass die Novelle aus dem Jahr 2018 wegen formaler Mängel noch gar nicht in Kraft getreten sei. Es fehle an der verbindlichen Genehmigung der EU-Kommission. Aber auch inhaltlich wurde die Atomgesetz-Novelle beanstandet. Das Gesetz sei unpräzise. Es verpflichte die Betreiber der Atomkraftwerke Brunsbüttel, Krümmel und Mühlheim-Kärlich zu Anstrengungen, Reststrommengen auf andere Energieunternehmen zu übertragen. Nur unter dieser Voraussetzung sollen Ausgleichszahlungen gewährt werden. Laut der Karlsruher Entscheidung bleibt jedoch unklar, welche Anstrengungen gefordert würden. Deshalb sei die Regelung unzumutbar. Auch könne die Novelle so verstanden werden, dass eine doppelte Kürzung der Ausgleichszahlungen möglich sei.

RWE erwarte eine Entschädigung für den beschleunigten Atomausstieg im mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich, bekräftigte Finanzchef Krebber. Das Bundesumweltministerium hält laut seiner Webseite einen Gesamtbetrag für die Entschädigung aller Betreiber im oberen dreistelligen Millionenbereich für plausibel. Atomkraftgegner kritisierten die Entschädigung grundlegend. Sie würden für Atomkraftwerke bezahlt, die schon vor dem Ausstieg aus der Kernkraft wegen Sicherheitsmängeln jahrelang stillgestanden hätten, monierte die Organisation "Ausgestrahlt". Nun sollten noch mehr Steuergelder fließen.

Einen konkreten Termin, bis wann die Neuregelung erfolgen muss, nannte das Bundesverfassungsgericht nicht. Es verlangte lediglich eine "alsbaldige Neuregelung". (AZ: 1 BvR 1550/19)

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