Reuters

Äthiopien treibt Tigray-Offensive voran - UNHCR befürchtet Katastrophe

17.11.2020
um 13:57 Uhr

Addis Abeba/Genf (Reuters) - Die äthiopische Regierung treibt die Militäroffensive in der Region Tigray voran und will die dortigen Kräfte zur Kapitulation zwingen.

Das Ultimatum dafür sei abgelaufen, teilte Ministerpräsident Abiy Achmed - der Friedensnobelpreisträger von 2019 - am Dienstag per Facebook mit. Wegen des Konflikts warnte das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) vor einer umfassenden Krise für die Menschen. Mehr als 27.000 Einwohner seien bereits ins Nachbarland Sudan geflohen. Die seit zwei Wochen tobenden Kämpfe könnten die Lage am Horn von Afrika weiter destabilisieren.

"Das dreitägige Ultimatum, das den Tigray Spezialkräften und den Milizen gestellt wurde, um sich zu ergeben,... ist heute abgelaufen", erklärte Abiy. "Nach Ablauf dieser Frist wird der letzte wesentliche Akt der Strafverfolgung in den kommenden Tagen durchgeführt." Abiy hat erklärt, er sei erst dann zu Verhandlungen bereit, wenn in Tigray wieder das Gesetz gelte. Er wirft der in der nördlichen Region regierenden Volksbefreiungsfront TPLF vor, einen bewaffneten Aufstand angezettelt zu haben. Die Partei dagegen hält Abiy vor, er verfolge sie und vertreibe ihre Politiker von Regierungs- und Sicherheitsposten.

Die äthiopische Luftwaffe griff am Dienstag erneut Ziele in Tigray an. Es sei ein "präzise geführter Einsatz" außerhalb von Makelle, der Hauptstadt Tigrays, gewesen, teilte das Militär mit. Angriffe auf von Zivilisten bewohnte Gebiete seien vermieden worden. Weitere Details waren zunächst nicht bekannt.

Der Präsident der Region Tigray und TPLF-Chef, Debretsion Gebremichael, teilte der Nachrichtenagentur Reuters schriftlich mit, es gebe immer noch Kämpfe rings um die Stadt Alamata, die im Süden der Region liegt. Dagegen hatte die Zentralregierung in Addis Abeba erklärt, Alamata sei von Regierungstruppen am Montag eingenommen worden. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Soldaten der Zentralregierung nicht so rasch vorrücken, wie diese erklärt hat.

Ministerpräsident Abiy hatte am 4. November Luftangriffe und eine Bodenoffensive gegen die Regierung von Tigray angeordnet. Der Bundesstaat mit der Größe Österreichs und fünf Millionen Einwohnern wird seit 2018 von der Volksbefreiungsfront TPLF regiert. Diese steht seit Jahren in Konflikt mit der Zentralregierung in Addis Abeba. Dabei spielen ethnische Spannungen eine Rolle. Die Tigrayer hatten Äthiopien über Jahrzehnte kontrolliert. Abiy gehört dagegen der Bevölkerungsmehrheit der Oromo an.

UNHCR UND NOBEL-KOMITEE ÄUSSERN SICH TIEF BESORGT

Das UNHCR erklärte, es stehe bereit, Hilfe zu leisten, wenn Zugang und Sicherheit für die Mitarbeiter gewährleistet seien. Allerdings gebe es nur sehr begrenzte Informationen über die Lage in Tigray, sagte Babor Baloch, der Sprecher des Hohen Flüchtlingskommissar der UN, in Genf. Es seien massive Vertreibungen innerhalb Tigrays zu befürchten. Hunderttausende Menschen dort waren bereits vor Beginn der Offensive abhängig von Hilfslieferungen. Die Kämpfe machen ihre Versorgung nun noch schwieriger, zumal derzeit ausländische Hilfskräfte in Sicherheit gebracht werden.

In einer ungewöhnlichen Erklärung äußerte sich das norwegische Nobel-Komitee, das im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis an Abiy verliehen hat, tief besorgt über die Entwicklung. Es liege in der Verantwortung aller beteiligten Parteien, dass die zunehmende Gewalt beendet werde, teilte das Komitee mit. Konflikte müssten mit friedlichen Mitteln gelöst werden. Das Nobel-Komitee kommentiert sehr selten öffentlich die Taten von Nobelpreisträgern. Es hatte Abiy für seine Bemühungen um das Friedensabkommen zwischen Äthiopien und Eritrea nach dem verheerenden Krieg 1998 bis 2000 ausgezeichnet.