Reuters

Regierung und Parlament ringen um Verschärfung von Infektionsschutzgesetz

16.04.2021
um 10:22 Uhr

- von Alexander Ratz und Christian Krämer

Berlin (Reuters) - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Deutschen Bundestag eindringlich für die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie geworben.

"Die Lage ist ernst und zwar sehr ernst", sagte Merkel am Freitag in Berlin. "Und wir alle müssen sie auch ernst nehmen, die dritte Welle der Pandemie hat unser Land fest im Griff." Um dagegen anzugehen, "müssen wir die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen besser bündeln". Die Opposition kritisierte das Vorgehen der Regierung. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel beanstandete erhebliche Einschränkungen der Freiheitsrechte. FDP-Chef Christian Lindner mahnte, vor allem die vorgesehenen Ausgangssperren seien potentiell verfassungswidrig.

Die vom Bundeskabinett am Dienstag auf den Weg gebrachten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes sehen bundeseinheitliche Regeln für die Umsetzung der Corona-Einschränkungen ab einer sogenannten Sieben-Tage-Inzidenz von 100 vor. So soll in Landkreisen mit dieser Inzidenz automatisch eine nächtliche Ausgangssperre verhängt werden. Ab einer Inzidenz von 200 sollen Schulen und Kitas schließen. Diese Punkte sind auch in den Koalitionsfraktionen umstritten. Der Bundestag soll das Gesetz in zweiter und dritter Lesung am Mittwoch beschließen. Der Bundesrat soll mit den Beratungen unmittelbar folgen, so dass das Gesetz schnellstmöglich in Kraft treten kann.

Angesichts der weiter steigenden Zahlen der Neuinfektionen und der Belegung von Intensivbetten dränge die Zeit: "Jeder Tag zählt", mahnte Merkel. "Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten." Die letzten Beratungen in der Bund-Länder-Runde sei für sie eine "Zäsur" gewesen. Daher habe die Bundesregierung die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg gebracht. "Das Virus versteht nur eine einzige Sprache, die Sprache der Entschlossenheit", sagte Merkel. Mit Blick auf die Warnungen der Mediziner sagte sie: "Wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden?"

"SCHNELL, WIRKSAM UND RECHTSSICHER"

"Sie misstrauen den Bürgern", warf die AfD-Fraktionsvorsitzende Weidel der Kanzlerin dagegen vor. "Sie misstrauen den Ländern." Ausgangsbeschränkungen seien völlig unverhältnismäßig. Im Freien gebe es so gut wie kein Ansteckungsrisiko, unabhängig von der Uhrzeit. FDP-Chef Lindner betonte, entscheidend seien eine richtige Teststrategie und mehr Tempo beim Impfen. "Es muss nun schnell, wirksam und rechtssicher gehandelt werden." Ausgangsbeschränkungen seien hochproblematisch. Die Regierung müsse verfassungsrechtliche Bedenken ernst nehmen. Auch die Linke will den Gesetzentwurf nicht mittragen. Trotz Warnungen Merkels sei drei Wochen lang nichts passiert, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch. Nun komme die Regierung aber mit höchst problematischen Ausgangssperren. "Die Gefahr lauert in den Innenräumen."

Die Fraktionschefin der Grünen lehnte den Entwurf aus anderen Gründen ab. Katrin Göring-Eckardt verwies auf rund 80.000 Tote in der Pandemie in Deutschland, die Notbremse komme zu spät, sie müsse schon ab einer niedrigeren Inzidenz greifen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte in diesem Zusammenhang, ohne Ausgangssperren sei die dritte Welle nicht zu brechen. Dies hätten auch Erfahrungen im EU-Ausland gezeigt. Klar sei aber auch, dass die Ausgangseinschränkungen allenfalls eines von mehreren Mitteln seien.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete für Freitag binnen 24 Stunden 25.831 Neuinfektionen in Deutschland. Das waren 367 Fälle mehr als am Freitag vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz verharrte bei 160,1. 247 weitere Menschen sind in Verbindung mit dem Coronavirus gestorben. Damit erhöhte sich die Zahl der Todesfälle auf 79.628. Insgesamt wurden bislang mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland positiv auf das Coronavirus getestet.