Reuters

EU-Gipfel diskutiert über neue Russland-Strategie

24.06.2021
um 16:12 Uhr

- von Andreas Rinke und Alexander Ratz

Berlin (Reuters) - Deutschland und Frankreich wollen auf dem EU-Gipfel eine Neuausrichtung der Russland-Politik erreichen.

Am Abend sollen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs dabei über drei Vorschläge aus Berlin und Paris diskutieren, wie man mit Moskau umgehen sollte. Diese umfassen nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters ein neues Sanktionsregime gegen Russland, dem etwa Cyberattacken vorgeworfen werden sowie zusätzliche Hilfen für Staaten, die unter Druck Russlands stehen. Es gehe auch darum, wie bei Provokationen Russlands schneller reagiert werden könne, hieß es in Regierungskreisen. Berlin und Paris bringen auch neue Gesprächsformate auf höchster Ebene ins Spiel.

"Es reicht nicht aus, wenn der amerikanische Präsident Joe Biden mit dem russischen Präsidenten redet", sagte Kanzlerin Angela Merkel dazu in einer Regierungserklärung im Bundestag. Zudem sollen auf dem zweitägigen EU-Gipfel in Brüssel der Umgang mit der Türkei, der wirtschaftliche Aufschwung nach der Pandemie und die bessere Bekämpfung der Corona-Virus-Variante Delta besprochen werden. Merkel pocht hier auf engere EU-Absprachen etwa bei Einreisen für Personen aus Virus-Variantengebieten.

In Berlin plädierten Merkel und ihre möglichen Nachfolger von Union, Grünen und SPD in einer europapolitischen Debatte zum Gipfel für eine deutliche Stärkung der Europäischen Union nach der Pandemie und forderten mehr Kompetenzen. "Deutschland unterstützt die schrittweise Schaffung einer Gesundheitsunion", sagte Merkel. Auch Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet, der erstmals seit 23 Jahren wieder im Bundestag sprach, Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sowie der SPD-Kandidat und Finanzminister Olaf Scholz plädierten für einen klar proeuropäischen Kurs. Während alle drei dabei auch die gemeinsame Schuldenaufnahme der EU-Kommission für das 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbauprogramm begrüßten, warnte FDP-Chef Christian Lindner vor dem Einstieg in eine Schuldenunion.

STREIT ÜBER RUSSLAND UND DIE TÜRKEI

Vor allem die Vorschläge zu Russland lösten bereits vor dem Gipfel eine Kontroverse aus: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sagte bei seiner Ankunft in Brüssel, ein Dialog mit Russland sei wichtig für die Stabilität in Europa. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz begrüßte den Vorstoß Deutschlands und Frankreichs. "Ich bin sehr froh, dass es hier endlich Bewegung in Richtung Dialog mit Russland gibt." Dagegen betonte der niederländische Regierungschef Mark Rutte, er würde zwar ein Gipfeltreffen der Präsidenten des Europäischen Rats und der EU-Kommission mit Putin begrüßen, selbst aber nicht an einem Gipfel teilnehmen. Kritik kam aus Osteuropa: Lettlands Präsident Krisjanis Karins lehnte ein direktes Gespräch mit Putin ab. "Für einen Dialog müsste auch Russland etwas bezahlen", sagte er in Brüssel. "Sonst sieht es so aus, dass Russland die Krim annektiert, einen Krieg im Donbas anzettelt und Europa zuckt mit den Schultern und sucht weiter den Dialog." Auch Litauens Präsident Gitanas Nauseda lehnt einen Gipfel mit Putin ab. "Wir sollten extrem vorsichtig sein", sagte er in Brüssel. Aus Moskau kam dagegen Zustimmung: "Einen solchen Dialog brauchen Brüssel und Moskau tatsächlich", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag. "Wir sehen einen solchen Vorschlag positiv."

Merkel hatte in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bis Ende 2020 bereits einen gemeinsamen EU-China-Gipfel mit allen 27 EU-Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen, um eine einheitlichere China-Politik zu erreichen. Der Gipfel musste dann aber pandemiebedingt abgesagt werden.

Weiterer Streitpunkt auf dem EU-Gipfel wird der Umgang mit der Türkei sein. Merkel unterstützte die EU-Kommission trotz aller Differenzen mit Ankara darin, das Zollabkommen mit der Türkei zu modernisieren und einen neuen Migrationspakt mit dem Land abzuschließen. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, weitere 3,5 Milliarden Euro für die Versorgung etwa syrischer Flüchtlingen bis 2024 zur Verfügung zu stellen. Auch Libanon und Jordanien, die ebenfalls hunderttausende syrischer Flüchtlinge aufgenommen haben, sollen finanzielle Unterstützung erhalten.