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Globale Mindeststeuer für Konzerne kommt in 130 Ländern

02.07.2021
um 11:22 Uhr

- von Andrea Shalal und Christian Krämer und Leigh Thomas

Washington/Paris/Berlin (Reuters) - Weltweit tätige Konzerne müssen sich auf eine schärfere Besteuerung einstellen.

130 Länder vereinbarten am Donnerstag eine umfassende Steuerreform. Diese enthält eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent. Außerdem sollen große Schwellenländer mehr Steuern von den größten und profitabelsten Unternehmen der Welt abbekommen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach bei einem Besuch in Washington von einem kolossalen Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit. Es wird nun damit gerechnet, dass die G20-Staaten mit den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern Ende nächster Woche bei ihrem Treffen in Venedig auch grünes Licht geben. Letzte Details und ein Plan zur Umsetzung sollen bis Oktober geklärt werden. In Kraft sollen die neuen Regeln ab 2023 sein, was als ambitioniert und noch nicht gesichert gilt.

Seit fast zehn Jahren wurde über das Projekt unter dem Dach der Industriestaaten-Organisation OECD verhandelt, zuletzt von 139 Ländern. Aus Verhandlungskreisen verlautete, neun Staaten machten zunächst nicht mit, darunter aus Europa Ungarn und Estland. Größere Ausnahmen werde es nicht geben. Alle G20-Staaten seien an Bord, nach schwierigen Verhandlungen auch China, die Türkei und Argentinien. Der irische Finanzminister Paschal Donohoe sagte, dass Dublin die Vereinbarung wegen der Mindeststeuerrate von 15 Prozent nicht unterzeichnet habe. Er hoffe jedoch noch auf eine Lösung, die das Niedrigsteuerland unterstützen könne.

"Die Sache ist jetzt auf dem Gleis", sagte SPD-Kanzlerkandidat Scholz. "Ich will diese Vereinbarung dingfest machen." Es sei auf internationaler Bühne der größte Durchbruch in den vergangenen 20 Jahren. Für Deutschland werde die Vereinbarung am Ende mehr Steuereinnahmen bedeuten. "Künftig werden die großen Konzerne ihren fairen Anteil an der Finanzierung unseres Gemeinwohls leisten." Das ist nach der Corona-Krise für viele Staaten besonders wichtig, weil die Pandemie riesige Löcher in die Haushalte gerissen und die Verschuldung deutlich nach oben getrieben hat. US-Präsident Joe Biden erklärte, dass multinationale Konzerne nun nicht länger Länder gegeneinander ausspielen könnten, um die Steuern zu drücken.

Mit der Reform sollen die Steuerregeln an das Digitalzeitalter angepasst werden. Denn global agierende Konzerne verlegen seit Jahrzehnten Gewinne geschickt in Länder, die mit immer niedrigeren Steuersätzen locken - und zahlen am Ende vergleichsweise wenig Steuern, meist deutlich weniger als etwa Mittelständler. Vor allem Technologiekonzerne verlagern besonders häufig Gewinne aus Patenten, Software oder Lizenzeinnahmen, die auf geistigem Eigentum basieren.

MINDESTSTEUER DÜRFTE 150 MILLIARDEN ZUSÄTZLICH BRINGEN

Die geplante Mindeststeuer soll Steuerdumping vermeiden und richtet sich vor allem gegen Steueroasen. Laut OECD dürfte es dadurch Mehreinnahmen von rund 150 Milliarden Dollar pro Jahr geben. Die neue US-Regierung hatte mit dem Vorschlag einer effektiven Mindeststeuer von mindestens 15 Prozent Schwung in die lange zähen Verhandlungen gebracht. Zur Kasse gebeten werden Firmen ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro. Experten zufolge betrifft das weltweit 7000 bis 8000 Konzerne, einige Hundert davon aus Deutschland.

In der anderen Säule der Reform sollen die sogenannten Marktstaaten bessergestellt werden, wo Konzerne wie Amazon, Apple und Facebook viel Geschäft machen, aber kaum Steuern zahlen. Diese sollen zusätzlich mehr als 100 Milliarden Dollar pro Jahr vom Steuerkuchen abbekommen. "Es soll sicherstellen, dass große multinationale Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie tätig sind und ihre Gewinne erzielen", so die OECD. "Zudem sorgt es für dringend notwendige Sicherheit und Stabilität im internationalen Steuersystem." In dieser Säule werden rund 100 Konzerne mit einem Jahresumsatz von mehr als 20 Milliarden Euro und einer Profitabilität von über zehn Prozent ins Visier genommen. In Deutschland dürfte dies Experten zufolge weniger als zehn Unternehmen betreffen.

Die Finanzbranche wird von dieser Teilregelung ausgenommen, weil sie in der Regel vor Ort reguliert wird. Dafür hatte sich vor allem Großbritannien mit dem Bankenstandort London eingesetzt. Die Mindeststeuer gilt aber auch für große Geldhäuser.

Eine Sonderregelung gibt es für Amazon, einen der großen Gewinner der Corona-Krise. Eigentlich ist der US-Konzern als Ganzes nicht profitabel genug, wird aber trotzdem bei der Neuverteilung der Besteuerungsrechte erfasst, weil einzelne Sparten allein groß und profitabel genug sind. Deutschland und Frankreich hatten immer wieder betont, dass es am Ende keine Schlupflöcher für die Internet-Riesen geben dürfe.

Kritik an der Vereinbarung kam von der finanzpolitischen Sprecherin der Grünen, Lisa Paus. "Die internationale Einigung zur Steuerreform ist ein historischer Durchbruch und eine Enttäuschung zugleich", sagte Paus. Historisch, da es nach Jahren des Stillstands endlich eine internationale Verständigung gebe. Enttäuschend, weil die Einigung mit einem wachsweichen Kompromiss und vielen Ausnahmen erkauft worden sei. "Die Einigung ist schon jetzt ein Schweizer Käse mit riesigen Löchern."

Amazon.com Inc.

WKN 906866 ISIN US0231351067

Apple Inc.

WKN 865985 ISIN US0378331005

Meta Platforms Inc.

WKN A1JWVX ISIN US30303M1027