Reuters

Grüne und FDP entscheidend im Machtpoker um Kanzleramt

27.09.2021
um 08:47 Uhr

- von Hans-Edzard Busemann

Berlin (Reuters) - Nach der Bundestagswahl kommt auf Grüne und FDP eine zentrale Rolle bei der Bildung der neuen Bundesregierung zu.

Zwar beanspruchten sowohl die SPD als auch CDU/CSU am Montag das Anrecht auf den Einzug ins Kanzleramt. Sozialdemokraten und Union sind aber auf eine Dreier-Koalition angewiesen, um die Regierungsmehrheit zu erreichen. Während die Grünen ihre Präferenz für eine Ampelkoalition mit der SPD und der FDP unter einen Kanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigten, favorisierte die FDP die Zusammenarbeit in einer Jamaika-Koalition mit Union und Grünen unter einem Kanzler Armin Laschet (CDU). Grüne und FDP erklärten, zu zweit ein Zusammengehen in einer Koalition zu sondieren und nicht nur getrennt mit SPD beziehungsweise Union zu sprechen.

Eine Neuauflage der großen Koalition wollen SPD und Union vermeiden, ein rot-grün-rotes Bündnis hätte keine Mehrheit und die AfD wird von allen übrigen Parteien als Koalitionspartner ausgeschlossen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis ging die SPD mit 25,7 Prozent als stärkste Kraft aus der Abstimmung hervor. CDU/CSU erreichten 24,1 Prozent. Die Grünen kamen auf 14,8 Prozent, die FDP auf 11,5 Prozent. Für die AfD stimmten 10,3 Prozent. Die Linkspartei erhielt zwar nur 4,9 Prozent, zieht aber durch den Gewinn von drei Direktmandaten auch mit Listenkandidaten in den Bundestag ein.

Bei der Sitzverteilung kommt die SPD demnach auf 206 Sitze, die Union auf 196 Sitze, die Grünen 118 Sitze und die FDP auf 92 Sitze. Die AfD belegt 83 Mandate, die Linke 39. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) erhält nach einer Sonderregel einen Sitz. Damit hätte eine Ampelkoalition zehn Stimmen mehr als eine Jamaika-Koaliton.

GRÜNE UND FDP WOLLEN GEMEINSAMKEITEN AUSLOTEN

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, kündigte am Montag an, es werde in einem "sehr kleinen Kreis" mit der FDP über die Bildung einer gemeinsamen Regierung gesprochen. "Da wird man sehen, was gibt es an Gemeinsamkeiten? Was verspricht die andere Seite, damit das klappen kann", sagte er in der ARD. Auch der FDP-Vize Wolfgang Kubicki spracht sich dafür aus, dass Liberale und Grüne gemeinsame Linien festlegen sollten. "Es wäre insgesamt am sinnvollsten, wenn sich Freie Demokraten und Grüne vorher verständigen würden, was gemeinsam durchsetzbar ist und was nicht", sagte er der Funke Mediengruppe.

Neben inhaltlichen Differenzen wie in der Klima- und Steuerpolitik wird es bei den grün-gelben Gesprächen voraussichtlich auch um Ministerposten gehen. Beide Parteien wollen den künftigen Finanzminister stellen. SPD, Union, Grüne und Grüne vermieden zunächst, rote Linien für Regierungsbündnisse zu betonen.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bekräftigte den Anspruch seiner Partei auf den Posten des Bundeskanzlers. "Die SPD liegt auf Platz eins. Wir haben die Wahl gewonnen", sagte er in der ARD. Man werde darum kämpfen, dass Scholz Kanzler werde. SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans sprach CDU-Chef Laschet im Deutschlandfunk die Legitimation für die Bildung einer Regierung ab. "Wenn man mit Abstand Zweiter wird (...), dann hat man zwar die Möglichkeit, aber das moralische Recht hat man nicht."

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zeigte sich überzeugt, dass es eine Chance gebe, eine Koalition mit Grünen und FDP zu bilden. Es gehe jetzt um die Frage, ob man "ein echtes Zukunftsprojekt" schaffe, sagte er in der ARD. Laschet wisse, wie man eine Koalition zusammenhalte.

Klingbeil und Ziemiak kündigten an, die Parteigremien würden am (heutigen) Montag die weiteren Schritte beraten. Auch die anderen Parteien wollen in ihren Spitzengremien ihr Vorgehen festlegen. Trotz der schwierigen Ausgangslage, die erstmals seit Jahrzehnten ein Dreier-Bündnis im Bund notwendig macht, signalisierten SPD, Union, Grüne und FDP, monatelange Sondierungen wie 2017 zu vermeiden. Die Bildung einer neuen Regierung solle viel schneller gehen.

Aufgerufen zur Abstimmung waren 60,4 Millionen Deutsche. Die Wahlbeteiligung lag dem Bundeswahlleiter bei 76,6 Prozent und damit etwas höher als 2017 mit 76,2 Prozent.