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EU-Kommission will Schuldenregeln erst 2024 wieder anwenden

23.05.2022
um 12:27 Uhr

Brüssel/Berlin (Reuters) - Die EU-Kommission hat wie erwartet vorgeschlagen, die europäischen Schuldenregeln auch 2023 noch ausgesetzt zu lassen.

Die Brüsseler Behörde verwies am Montag auf die hohe Unsicherheit durch den Krieg in der Ukraine, der zu geringeren Wachstumsraten und einer höheren Inflation führt. Eigentlich sollten die Regeln, die die Neuverschuldung von EU-Staaten auf drei Prozent und die Gesamtverschuldung auf 60 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung begrenzen, ab 2023 wieder greifen. Sie sind seit 2020 ausgesetzt, um den Ländern im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie mehr Spielraum zu geben.

Der sogenannte Stabilitätspakt soll den Wert des Euro schützen und zu große Unterschiede innerhalb der Währungsunion verhindern. Gegen die Regeln wurde in der Vergangenheit aber immer wieder verstoßen, ohne dass dies spürbare Konsequenzen gehabt hätte. Die südlichen EU-Länder fordern seit längerem eine Reform. Die Kommission betonte, die Ausnahmeklausel solle jetzt 2024 nicht mehr genutzt werden. In ihrer Frühjahresprognose hatte die Behörde zuletzt ihre Wachstumserwartungen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine deutlich gestutzt. Für die Euro-Zone wird dieses Jahr nur noch ein Plus von 2,7 statt bisher 4,0 Prozent erwartet. Die konjunkturelle Erholung von der Pandemie fällt also schwächer aus.

LINDNER WILL SCHULENBREMSE AB 2023 WIEDER EINHALTEN

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte am Freitag nach einem G7-Treffen gesagt, die Wirtschaftsdaten würden nicht zwingend dafür sprechen, die EU-Schuldenregeln noch ein weiteres Jahr auszusetzen. "Deutschland jedenfalls wird davon keinen Gebrauch machen." Die im Grundgesetz verankerte, wegen der Pandemie aber ebenfalls seit 2020 ausgesetzte, Schuldenbremse solle 2023 wieder eingehalten werden. Das kommt bei der Neuverschuldung einer Vollbremsung nahe.

Die EU-Kommission hatte im März bereits angekündigt, die sogenannte Zwanzigstel-Regel für hoch verschuldete Staaten 2023 nicht anwenden zu wollen. Danach müssen Euro-Länder mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent jedes Jahr ein Zwanzigstel der Differenz zwischen 60 Prozent und der tatsächlichen Quote abbauen. Das würde vor allem Griechenland und Italien hart treffen, die die höchsten Schuldenstände haben. Rund um den Globus sind die Schulden in der Corona-Krise nach oben geschossen, so dass ein Abbau um ein Zwanzigstel auch immer anspruchsvoller wird.

In Italien liegt die Schuldenquote mittlerweile bei 160 Prozent und in Griechenland bei mehr als 200 Prozent. Deutschland steht dagegen viel besser da. 2021 lag die Quote bei 69,3 Prozent, sie dürfte dieses Jahr nach Einschätzung der Bundesbank deutlich sinken. Lindner will nach früheren Angaben in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die Vorgabe von maximal 60 Prozent wieder erfüllen.

Im aktuellen Monatsbericht der Bundesbank heißt es zudem, ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm sei derzeit nicht zu empfehlen. Denn die Wirtschaft erhole sich auch so - trotz der jüngsten Eintrübung durch den Krieg in der Ukraine. "Die Erholung fällt demnach zwar gedämpfter aus als zuvor erwartet, kommt aber nicht zum Erliegen." Staatliche Sonderausgaben könnten den Preisdruck noch erhöhen, hätten aber nur geringe Auswirkungen auf die Nachfrage.

(Bericht von Jan Strupczewski und Christian Krämer, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)