Reuters

260 Mrd weniger Wertschöpfung bis 2030 - Deutsche Wirtschaft spürt Krieg

09.08.2022
um 10:02 Uhr

Berlin (Reuters) - Die deutsche Wirtschaft verliert einer Studie zufolge durch den Krieg in der Ukraine und die sprunghaft gestiegenen Energiepreise bis 2030 über 260 Milliarden Euro an Wertschöpfung.

Auch auf dem Arbeitsmarkt wird es zu negativen Auswirkungen kommen, wie aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht, die am Dienstag veröffentlicht wurde. Diese würden sich allerdings wegen staatlicher Maßnahmen noch in Grenzen halten. Zwischen 2022 und 2028 dürften durchschnittlich 150.000 Personen weniger beschäftigt sein.

Einer der großen Verlierer der jetzigen Situation wird laut der Studie erneut das Gastgewerbe sein, das bereits in der Coronavirus-Pandemie arg gebeutelt wurde und nun den Kaufkraftverlust der Bürger zu spüren bekommen dürfte. "Denn die geringeren Konsumausgaben der privaten Haushalte führen hier zu einem deutlich niedrigeren Bedarf an Erwerbstätigen", heißt es in der Untersuchung. Die Branche hatte eigentlich auf einen Boom nach der Pandemie gehofft, der nun ins Stocken gerät. So setzt der Gastronomie im Sommer oftmals noch ein Mangel an Personal zu. Dieser dürfte sich aber angesichts der tendenziell schwächeren Nachfrage langsam entspannen. Weitere Verlierer sind energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie und die Metallerzeugung.

Gesamtwirtschaftlich wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2023 der Untersuchung zufolge um rund 1,7 Prozent niedriger liegen, als hätte es den russischen Angriff auf die Ukraine nicht gegeben. "Das Wirtschaftswachstum wird insbesondere durch die gestiegenen Preise für fossile Rohstoffe abgeschwächt. Sie belasten sowohl die Exportwirtschaft als auch die Konsummöglichkeiten der privaten Haushalte." Die Preisaufschläge für Importgüter wie fossile Brennstoffe, Metalle und Nahrungsmittel dürften sich erst mittelfristig abschwächen. Auch bei den Bauinvestitionen sei mit negativen Auswirkungen zu rechnen.

AUF KURZARBEIT KÖNNTE WIEDER ANKOMMEN

"Der Krieg lässt den Nach-Corona-Aufschwung in Deutschland ausfallen", sagte IAB-Forscher Enzo Weber, einer der Studien-Autoren, der Nachrichtenagentur Reuters. "Bei einer gravierenden Verschärfung der Energiekrise würde die Wirtschaft in die Rezession rutschen. Dann sollte es zusätzliche Hilfen geben, um die Produktion aufrechtzuerhalten und die Einkommen der Haushalte zu stützen. Falls es kurzfristig einen kompletten Energielieferstopp gibt, käme es zudem auf ein massentaugliches Kurzarbeitsinstrument an."

Die IAB-Forscher, die die Studie gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung erstellt haben, verweisen allerdings darauf, dass die Berechnungen mit hohen Unsicherheiten verbunden sind - vor allem zum weiteren Kriegsverlauf und der Entwicklung der Energiepreise. Sollten die Energiepreise, die bislang um 160 Prozent nach oben geschossen sind, noch einmal doppelt so hoch liegen, wären die Auswirkungen wesentlich deutlicher: Dann würde die Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr um fast vier Prozent niedriger ausfallen als ohne Krieg. "2030 würde das BIP noch um ein halbes Prozent niedriger ausfallen." Auf dem Arbeitsmarkt würden unter diesen Annahmen nach drei Jahren 660.000 Personen - das sind 1,5 Prozent - weniger beschäftigt sein, 2030 wären es noch 60.000 Personen (0,2 Prozent).

(Bericht von Christian Krämer. Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)