Reuters

Dreistellige Milliardenkosten - Länder wollen Energiepreisdeckel

29.09.2022
um 08:32 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Die 16 Ministerpräsidenten fordern vom Bund die schnelle Einführung eines umfassenden Preisdeckels für Strom, Gas und Wärme für Haushalte und Firmen.

"Aller Voraussicht nach wird dies im dreistelligen Milliardenbereich liegen", sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nach den stundenlangen Beratungen der Länder am Mittwoch in Berlin. Die Kosten würden aber angesichts der dramatischen Lage durch die hohen Gas- und Strompreise "um ein Vielfaches" höher liegen, wenn man Bürger und Betriebe jetzt nicht vor den stark gestiegenen Energiepreisen schütze. "Wir brauchen eine Politik der nationalen Einheit." Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte, die Beratungen über das von der Ampel-Koalition vorgelegte Entlastungspaket in ein umfassendes Gesamtkonzept einzubetten. Der Bund müsse bei der Wohngeldreform, den Regionalisierungsmittel, die Flüchtlingskosten und Krankenhäuser mehr zahlen.

Die Regierungschefinnen und -chefs der Länder forderten zudem, dass die Maßnahmen wirksam, spürbar, einfach verständlich und schnell umsetzbar sein müssten. "Zur Gegenfinanzierung sind auch im Energiesektor erzielte Über- beziehungsweise Zufallsgewinne abzuschöpfen. In diesem Zusammenhang sind auch Entlastungen für Pendler zu prüfen," hieß es in einer Stellungnahme. Die 16 Länderchefinnen und -chefs steckten damit ihre gemeinsame Position für die Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 4. Oktober ab. Die gemeinsamen Beratungen mit dem Bund hatten verschoben werden müssen, weil der Kanzler an Corona erkrankt ist.

Die Länder äußerten indirekt Unzufriedenheit mit den Vorbereitungen der Ampel-Regierungen in der Energiekrise. Zwar wurde gelobt, dass die Versorgungssicherheit etwa durch den Bau der LNG-Terminals an der deutschen Küste und gefüllte Gasspeicher weitgehend gesichert sei. Aber die Bundesregierung wird aufgefordert, "kurzfristig ein nachhaltig wirksames industriepolitisches Konzept zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Industrie sowie zur Sicherung von Arbeitsplätzen zu entwickeln". Hintergrund sind die Klagen viele Betriebe, dass der Bund - anders als einige andere EU-Regierungen - bisher keine ausreichenden Hilfen gegen die rapide gestiegenen Energiepreise anbietet. Für die kommunalen Stadtwerke als Energieversorger wird ein Schutzschirm gefordert. Sollten die EU-Energieminister sich kommenden Freitag nicht auf eine europaweite Strompreisbremse einigen können, müsse sie national umgesetzt werden.

Zudem fordert die Ministerpräsidenten-Konferenz unter anderem, dass die Hilfen auf kleine und mittlere Einkommen beschränkt und steuerliche Entlastungen wie die Strom- und Energiesteuer ins Auge gefasst werden müssten. "Es ist nicht zu erwarten, dass in der nächste Woche alle Fragen gelöst werden", sagte Wüst. Einige Punkte würden im Bundesratsverfahren geklärt werden. Unions-geführte Länder hatten bereits angekündigt, dass sie etwa das von der Ampel beschlossene Bürgergeld in den Vermittlungsausschuss schicken wollen. Mit dem einstimmigen Beschluss auf das achtseitige Forderungspapier stärken die Länder ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Bund.

Allerdings räumte Giffey ein, dass man sich nicht in allen Punkten habe einigen können: So sprechen sich die von SPD oder Linken geführten Bundesländer in einer Protokollnotiz dafür aus, eine "außergewöhnliche Notsituation im Sinne des Grundgesetzes" festzustellen. "Dies rechtfertigt bei Bund und Ländern die Aufnahme von Krediten über die Begrenzung der Schuldenbremse hinaus." Die Aussetzung der Schuldenbremse auch 2023 lehnt Finanzminister Christian Lindner (FDP) bisher aber ab. Auch die unionsgeführten Länder sind skeptisch und fordern von der Ampel-Regierung aus SPD, Grüne und FDP, dass sie zunächst angesichts der dramatischen Lage Projekte aus dem Koalitionsvertrag infrage stellt. Bayern setzte sich in einer Protokollerklärung unter anderem für den Weiterbetrieb des niedersächsischen Atomkraftwerks Lingen und die Abschaffung der Gasumlage ein.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)