Reuters

Moskau feiert am Freitag Annexion ukrainischer Gebiete

29.09.2022
um 16:47 Uhr

London (Reuters) - Russlands Präsident Wladimir Putin wird am Freitag die offizielle Annexion von etwa 15 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets einläuten.

Um 15.00 Uhr Moskauer Zeit (14.00 Uhr MESZ) sei eine Zeremonie zur Unterzeichnung "von Vereinbarungen zur Aufnahme neuer Territorien in die Russische Föderation" angesetzt, teilte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag mit. Die Abkommen sollen demnach mit den vier ukrainischen Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson unterschrieben werden, in denen kürzlich sogenannte Referenden über einen Beitritt zu Russland abgehalten wurden.

Anschließend werde Putin eine Rede halten und sich mit den von Moskau in den ukrainischen Regionen eingesetzten Regionalverwaltern treffen. Die Unterzeichnungszeremonie sei Teil eines Prozesses, in dessen Rahmen sich Putin zu einem späteren Zeitpunkt auch an das russische Parlament wenden werde. Auf dem Roten Platz ist zudem ein Rockkonzert geplant, dort sind bereits eine Tribüne und riesige Leinwände aufgebaut. Auf Werbetafeln ist der Slogan "Donezk, Luhansk, Saporischschja, Cherson - Russland!" zu sehen. Ob Putin auch dort erscheinen wird, ließ sein Sprecher Peskow offen. Nach der völkerrechtlich ebenfalls nicht anerkannten Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 gab es eine ähnliche Veranstaltung, bei der der Präsident anwesend war.

BAERBOCK KRITISIERT DIKTATFRIEDEN

Die Duma, das russische Unterhaus, will sich mit dem Anschluss am Dienstag nächster Woche befassen, drei Tage später wird Putin 70 Jahre alt. Der Westen und die Regierung in Kiew nennen die Abstimmungen in den russisch-besetzten Teilen der vier Regionen Scheinreferenden und erkennen die Ergebnisse nicht an. Die Gebiete entsprechen zusammen grob der Fläche Portugals. Mit einem Anschluss könnte die Regierung in Moskau die ukrainische Gegenoffensive zur Rückeroberung der Gebiete als einen Angriff auf Russland darstellen. Putin hat erklärt, er sei bereit, die "territoriale Integrität" seines Landes mit Atomwaffen zu verteidigen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte eine klare Antwort auf die Annexionen an. Zugleich hält er Verhandlungen über eine Waffenruhe damit für unmöglich. Die Voten "sind wertlos und ändern die Realität nicht", erklärte Selenskyj. "Die territoriale Integrität der Ukraine wird wieder hergestellt, und unsere Reaktion auf die Anerkennung der Ergebnisse durch Russland wird sehr harsch ausfallen." Für Freitag ordnete Selenskyj eine Sondersitzung seines Sicherheits- und Verteidigungsrats an.

Die USA und die Europäische Union haben als Folge weitere Sanktionen gegen Russland angekündigt. Dazu wollen die EU-Staats- und Regierungschefs kommende Woche beraten. Dabei soll es auch um die Folgen des mutmaßlichen Sabotage-Akts gegen die Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee gehen. Außenministerium Annalena Baerbock bezeichnete die Referenden als Teil eines russischen Diktatfriedens. Menschen seien teilweise mit vorgehaltener Waffe zur Stimmabgabe gezwungen worden, sagte Baerbock auf einer Konferenz zur Krisenprävention in Berlin. "Das ist das Gegenteil von freien und fairen Wahlen", kritisierte sie. "Solange dieses russische Diktat in den besetzten Gebieten gilt, ist kein Bürger frei und sicher."

FINNLAND ERKENNT KEINE TOURISTENVISA MEHR AN

Die Annexionen gelten als eine Reaktion Putins auf die jüngsten Geländegewinne der ukrainischen Streitkräfte bei ihrer Gegenoffensive. Zudem hat Putin eine Teilmobilmachung verfügt und lässt 300.000 Reservisten einziehen. Dies hat zur Folge, dass sich bereits Zehntausende Männer aus Russland abgesetzt haben. Viele versuchen dabei über Finnland in die Europäische Union zu gelangen. Die Regierung in Helsinki teilte am Donnerstag mit, russischen Staatsbürgern ab Mitternacht (Ortszeit) die Einreise über Touristenvisa zu verweigern. Die Einreise für Familienbesuche sowie zu Arbeits- und Studienzwecken werde weiterhin gestattet, sagte Außenminister Pekka Haavisto.

Allein am vergangenen Wochenende waren nach Angaben finnischer Behörden fast 17.000 Russen eingereist, ein Anstieg um 80 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Auch am Donnerstag passierten permanent Autos den Grenzübergang in Vaalimma, wie die Nachrichtenagentur Reuters beobachten konnte. Der Chef der finnischen Grenzschutzbehörde, Tuomas Laosmaa, sagte allerdings, die Zahl der einreisenden jüngeren Russen sei seit Mittwoch niedriger geworden. "Wir haben Anzeichen, dass die russischen Behörden ihre Politik geändert haben", sagte er, ohne dies auszuführen.

(Reuters-Büros; geschrieben von Christian Rüttger und Alexander Ratz; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)