Reuters

Kreml - Beteiligen uns nicht an "nuklearer Rhetorik"

04.10.2022
um 17:07 Uhr

Moskau/Kiew (Reuters) - Russland versucht, Sorgen des Westens vor einem atomaren Konflikt zu zerstreuen, und treibt die Annexion der besetzten ukrainischen Gebiete trotz militärischer Rückschläge voran.

Berichte über einen geplanten Atomtest an der Grenze zur Ukraine wies der Kreml am Dienstag zurück. "Westliche Medien, westliche Politiker und Staatsoberhäupter üben sich zurzeit in nuklearer Rhetorik", sagte der Sprecher des Moskauer Präsidialamts, Dmitri Peskow. "Daran wollen wir uns nicht beteiligen." Die britische Zeitung "The Times" hatte zuvor berichtet, die Nato habe ihre Mitglieder davor gewarnt, dass Präsident Wladimir Putin seine Bereitschaft zum Einsatz von Atomwaffen durch einen Atomtest an der ukrainischen Grenze demonstrieren wolle.

Nach den Atom-Drohungen Putins seien bislang keine ungewöhnlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Moskauer Atomwaffenarsenal festgestellt worden, sagte ein westlicher Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, zu Reportern. "Wir haben keine Indikatoren oder Aktivitäten gesehen, die aus unserer Sicht außerhalb der Norm liegen würden. Wir haben keine Aktivitäten gesehen, die über das übliche Maß hinausgehen." Die "Times" berichtete zudem, Russland habe einen Zug in Bewegung gesetzt, der in Zusammenhang stehe mit nuklearer Munition. Darauf angesprochen sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, sie wolle nicht spekulieren.

Baerbock betonte aber bei einem Besuch in Warschau: "Wir gleichen natürlich ständig seit Ausbruch dieses Krieges unsere Erkenntnisse mit den Verbündeten gemeinsam ab." Dabei kritisierte sie Putins wiederholte Drohung, Atomwaffen einsetzen zu können. "Putin greift nicht zum ersten Mal zu einer solchen Drohung", sagte die Ministerin. "Sie ist unverantwortlich, wir müssen sie ernst nehmen, so wie wir alles ernst nehmen, es ist aber auch... ein Versuch, uns zu erpressen." Insofern dürfe sich die Weltgemeinschaft davon nicht abschrecken lassen.

"ALLE ZUR VERFÜGUNG STEHENDEN MITTEL"

Putin hat nach Misserfolgen im Krieg gegen die Ukraine die erste Teilmobilmachung des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg angeordnet und zugleich gewarnt: "Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu schützen. Das ist kein Bluff." Gemessen an der Zahl der Atomsprengköpfe ist Russland die größte Atommacht der Welt: Nach Angaben der Federation of American Scientists verfügt das Land über 5977 Sprengköpfe, während die USA 5428 besitzen.

Brisanz bekommt Putins Drohung vor allem durch die Annexion der besetzten ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson - etwa 18 Prozent des international anerkannten ukrainischen Staatsgebiets. Nach der Duma stimmte auch das russische Oberhaus dem Vorhaben am Dienstag einstimmig zu. Die Vorlage geht jetzt zurück an Putin, nach dessen Unterschrift ist sie in Kraft. Damit wurde womöglich noch im Lauf des Dienstag gerechnet. Die Provinzen sind allerdings nicht völlig unter Kontrolle der russischen Streitkräfte, weshalb die von der Regierung in Moskau angestrebten Grenzziehungen völlig unklar sind.

Zudem hat die ukrainische Armee vor allem in den Gebieten Donezk und Cherson in den vergangenen Tagen teils erhebliche Geländegewinne verbuchen können. Nach Vollzug der Annexionen könnte Russland die Gegenoffensive als Angriff auf das eigene Territorium werten und entsprechend reagieren. Verhandlungen mit Putin lehnt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ab. In einem von ihm unterzeichneten Dekret wurde aber offiziell festgehalten, dass die Ukraine offen sei für einen Dialog mit Russland. Kreml-Sprecher Peskow wies dies zurück. "Wir werden entweder warten, bis der derzeitige Präsident seine Position ändert, oder warten, bis der nächste Präsident seine Position im Interesse des ukrainischen Volkes ändert", sagte er.

(Bericht von Guy Faulconbridge, Jonathan Landay und Tom Balmforth; Bearbeitet von Rene Wagner und Alexander Ratz; redigiert von; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)