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Europäer treffen sich ohne Russland zu neuem Gipfelformat

06.10.2022
um 17:52 Uhr

Prag (Reuters) - Zu Beginn des europäischen Gipfeltreffens von 44 Staaten hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gefordert, die zwischenstaatlichen Energieverbindungen in Europa auszubauen.

Dies und die Senkung der Gaspreise hätten Priorität, sagte Macron am Donnerstag vor Beginn der Beratungen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Prag. "Ich bin bereit, alle diese Projekte voranzutreiben, um die Interkonnektivität zu verbessern", fügte er hinzu. Ob Macron auch seinen Widerstand gegen die von Spanien, Portugal, der EU-Kommission und Deutschland geforderten Gaspipeline durch Frankreich aufgibt, blieb unklar. Kanzler Olaf Scholz hatte sich am Vortag optimistisch gezeigt, dass Frankreich einlenken werde.

Bei dem Treffen in Prag sind neben den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch 17 weitere Länder vertreten - allerdings nicht Russland. "Dieses Treffen ist eine Möglichkeit, nach einer neuen Ordnung ohne Russland zu suchen. Das bedeutet nicht, dass wir Russland für immer ausschließen wollen, aber dieses Russland, das Russland von (Präsident Wladimir) Putin, hat keinen Platz", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Prag.

Vertreten sind auch mehrere Länder, die auf einen Beitritt zur EU warten wie die Westbalkan-Staaten, aber auch Großbritannien, das die EU verlassen hat. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nimmt an dem Gipfel teil. Scholz sprach von einer wichtigen Abstimmung über die Energiepolitik und den Umgang mit Russland. Es sei gut "für den Frieden und die Sicherheitsordnung", wenn sich Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa erstmals frei von einer Tagesordnung und ohne die Notwendigkeit einer Beschlussfassung unterhalten könnten, sagte er. Der Kanzler bremste aber zugleich Ideen, aus dem vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorgeschlagenen Format eine feste Organisation zu bilden. "Es geht nicht darum, eine neue Institution zu schaffen", betonte er.

Neben den Beratungen im großen Kreis soll das neue eintägige Format auch die Möglichkeit zu bilateralen Treffen geben. Die britische Premierministerin Liz Truss sprach nach Angaben ihres Büros mit ihrem tschechischen Amtskollegen Petr Fiala etwa über die Notwendigkeit, die militärische Hilfe und Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen.

Im Umfeld des Gipfels gab es auch Kritik an der Entscheidung der Bundesregierung, bis 2024 bis zu 200 Milliarden Euro zur Deckelung der Energiepreise in Deutschland für Firmen und Haushalt bereit zu stellen. "Es kann nicht sein, dass die Interessen eines Landes, die Interessen Deutschlands, den Kurs für alle Mitgliedsstaaten vorgeben", sagte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Deutschland dürfe die Energiepolitik der EU nicht diktieren. Kritik hatte es auch aus anderen EU-Staaten gegeben. Scholz verteidigte dagegen wie schon zuvor in Spanien auch in Prag die Entscheidung der Ampel-Koalition. Ähnliche nationale Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise hätten auch andere EU-Staaten beschlossen. Man müsse zum einen dafür sorgen, dass die Preise für Gas wieder drastisch sinken, indem man weltweit Nachfrage und Angebot ohne das russische Gas wieder in ein Gleichgewicht bringe, fügte er hinzu. Zum anderen müsse man denen helfen, die mit den gestiegenen Energiekosten Probleme hätten.

Am Freitag folgt in Prag ein informeller EU-Gipfel. Eine Gruppe von Ländern, darunter Polen, Italien und Griechenland, haben für die Beratungen am Freitag einen Vorschlag für die Einführung eines "dynamischen Preiskorridors" für Gas in der EU ausgearbeitet, um die hohen Energiepreise und die steigende Inflation zu senken. "Der Korridor würde für alle Großhandelstransaktionen gelten, nicht beschränkt auf Importe aus bestimmten Ländern und nicht beschränkt auf eine bestimmte Verwendung von Erdgas", heißt es in einem Entwurf des Vorschlags der Länder, der Reuters vorliegt. Allerdings gibt es dagegen große Vorbehalte. Länder wie Deutschland warnen, ein wie auch immer gearteter Preisdeckel dürfe nicht dazu führen, dass die EU-Staaten auf dem Weltmarkt kein LNG-Gas mehr kaufen könnten, weil andere Länder einen höheren Preis bieten.

(Bericht von Andreas Rinke, Kate Abnett, Pawel Florkiewicz und Michel Rose; redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)