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ROUNDUP 5: Sabotage-Verdacht nach Lecks in Nord-Stream-Leitungen

27.09.2022
um 22:01 Uhr

(neu: Schwedens Ministerpräsidentin 3. Absatz, Mitteilung Nord Stream AG)

BERLIN/KOPENHAGEN (dpa-AFX) - Nach gleich drei Lecks in nur kurzer Zeit an den Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 wird ein Sabotageakt nicht ausgeschlossen. In Polen, Schweden, Dänemark und Russland wird ein Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden an beiden Pipelines für denkbar gehalten. Auch aus Sicht deutscher Sicherheitskreise spricht vieles für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des Aufwands nur ein staatlicher Akteur infrage kommen, hieß es am Dienstag. Zwar wird aktuell durch keine der Pipelines Gas geliefert, der Gaspreis stieg angesichts der Verunsicherung aber. Am Montag war in den Leitungen von Russland nach Deutschland ein plötzlicher Druckabfall beobachtet worden.

Der dänischen Regierung zufolge sind die Lecks nicht auf einen Unfall zurückzuführen. Die Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Abend. Innerhalb kurzer Zeit seien mehrere Explosionen beobachtet worden. Es gebe noch keine Informationen dazu, wer dahinterstecke. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen, sagte Frederiksen.

Nach Einschätzung der schwedischen Regierung ist wohl von Sabotage auszugehen. Die Informationslage sei noch alles andere als vollständig, aber zwei Explosionen seien identifiziert worden, die drei Lecks verursacht hätten, sagte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am Abend in Stockholm. Basierend auf schwedischen und dänischen Informationen komme man zu dem Schluss, dass es sich vermutlich um eine absichtliche Tat handle. "Es ist also wahrscheinlich eine Frage der Sabotage", sagte sie. Man arbeite unter anderem mit Deutschland und den USA eng zusammen. Sie habe dazu am Abend mit Frederiksen, Kanzler Olaf Scholz und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg telefoniert. Auch die EU sei informiert worden.

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, "wir kennen heute noch nicht die Details dessen, was da passiert ist, aber wir sehen deutlich, dass ein Sabotageakt vorliegt". In Moskau will die Regierung einem Sprecher zufolge keine Variante ausschließen. Auch der Betreiber von Nord Stream 2 ist skeptisch: Die Leitungen seien so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist.

Messstationen in Schweden und Dänemark haben einem Medienbericht zufolge vor dem Entstehen der Nord-Stream-Gaslecks kräftige Detonationen unter Wasser verzeichnet. Es bestehe kein Zweifel daran, dass es sich um Sprengungen oder Explosionen handele, sagte der Seismologe Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) dem schwedischen Rundfunksender SVT.

Der dänische Klima- und Energieminister Dan Jørgensen bestätigte Angaben von Geologen, dass es am Montag zunächst um 2.03 Uhr eine Explosion an Nord Stream 2 südöstlich von Bornholm sowie um 19.03 Uhr eine weitere an Nord Stream 1 nordöstlich von der Insel entfernt gegeben habe. Die Gasleitungen lägen tief im Wasser und bestünden aus Stahl und Beton. Die Größe der Lecks deute darauf hin, dass es sich nicht um ein Unglück etwa mit einem Schiffsanker handeln könne.

Insgesamt drei Lecks waren - nach einem ersten Druckabfall in der Nacht auf Montag - sowohl in einer der Röhren von Nord Stream 2 wie auch in beiden Röhren der Nord-Stream-1-Pipeline entdeckt worden. Wegen der Gefahr für die Schifffahrt richteten dänische Behörden Sperrzonen ein. Außerhalb der Zone gebe es keine Gefahr, auch nicht für Einwohner von Bornholm und der kleinen Nachbarinsel Christiansø.

In den betroffenen Ländern wird an Lösungen gearbeitet. Sowohl in Schweden als auch in Dänemark wurden Krisenstäbe einberufen. Das Bundesinnenministerium nimmt die Beschädigungen an den Pipelines nach Aussage eines Sprechers "sehr ernst": "Wir sind hierzu innerhalb der Bundesregierung, mit den deutschen Sicherheitsbehörden und mit unseren dänischen und schwedischen Partnern im engen Kontakt."

Auch die Nato befasst sich mit der Lage. "Das ist etwas, das wir sehr genau beobachten", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Man sei in engem Kontakt mit den Nato-Alliierten sowie Schweden, das Nato-Mitglied werden will. Grundsätzlich habe es Auswirkungen auf alle, dass Russland Energie als Waffe in dem Ukraine-Konflikt nutze.

Die Nord Stream AG, die Nord Stream 1 betreibt, teilte am Abend mit, der erhebliche Druckabfall durch das Gasleck an beiden Strängen, führe zu der "starken Vermutung, dass die Pipeline physisch beschädigt" worden sei. Es würden alle notwendigen Ressourcen mobilisiert, um die Schäden in Zusammenarbeit mit den zuständigen lokalen Behörden zu bewerten. Derzeit sei es nicht möglich, einen Zeitrahmen für die Wiederherstellung der Infrastruktur abzuschätzen.

Die Verunsicherung war auch an den Energiemärkten zu spüren. Der Preis für europäisches Erdgas ist deutlich gestiegen und hat die Marke von 200 Euro überschritten. Am späten Dienstagnachmittag stieg der Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas bis auf rund 207 Euro je Megawattstunde. Das waren etwa 19 Prozent mehr als am Vortag.

Deutsche und dänische Behörden wiesen darauf hin, dass die Vorfälle keine Auswirkung auf die Gasversorgung hätten, da die Leitungen zuletzt nicht für den Gasimport benutzt worden seien. Während über Nord Stream 1 bis vor einigen Wochen noch Gas aus Russland nach Deutschland geflossen war - wenn auch mit gedrosselter Kapazität - war die Genehmigung für Nord Stream 2 kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von der Bundesregierung auf Eis gelegt worden. Danach hatte sie wegen des Krieges eine Nutzung ausgeschlossen. Die Bundesnetzagentur verwies darauf, dass die Befüllung der Gasspeicher kontinuierlich weiter gehe. "Die Ereignisse ändern die Versorgungssituation nicht", sagte ein Sprecher./ssc/DP/he