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08.12.2022
um 19:01 Uhr

Ruhe vor dem Sturm / Kommentar zur Entwicklung des Ölmarkts von Dieter
Kuckelkorn.
Frankfurt (ots) - Der traditionell für geopolitische Krisen anfällige Ölpreis
hat in dieser Woche den niedrigsten Stand im laufenden Jahr erreicht. Angesichts
der vielen weltweiten Verwerfungen und Auseinandersetzungen, die sich
größtenteils auf den neuen Kalten Krieg zwischen den USA und ihren Verbündeten
einerseits und Russland und China andererseits zurückführen lassen, ist dies
verwunderlich.

Hauptgrund für die Baisse am Ölmarkt ist die in weiten Teilen der Welt schwache
Konjunkturentwicklung. In China ist diese das Ergebnis der bisherigen Politik
einer fast kompromisslosen Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. In Europa und
teilweise auch in den USA lässt sich die Konjunkturschwäche auf die enorme
Verteuerung von Energieträgern wie Erdgas und Strom zurückführen, die wiederum
vor allem ein Ergebnis von eklatanten energiepolitischen Fehlentscheidungen ist.
Dass die Nachfragesituation bei Rohöl aktuell nicht gut aussieht, wird auch
daran deutlich, dass sich Saudi-Arabien zu weiteren Preisnachlässen für
asiatische Kunden veranlasst sieht.

Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass der Ölpreis auf diesem niedrigen
Niveau bleiben wird. Wenngleich die Konjunktur in Europa schwach bleiben wird,
dürfte sie sich in den USA aufgrund des sich abzeichnenden Endes der
Zinserhöhungen und in China aufgrund des Kurswechsels in der Bekämpfung der
Pandemie bald wieder erholen. Dies sollte für einen gewissen Anstieg des
Ölpreises sorgen.

Vor allem aber zeichnet sich mit Blick auf die aktuellen geopolitischen
Konflikte eine ausgeprägte Kehrtwende des Ölpreises ab. Die Preisobergrenze der
G7-Staaten und der Europäischen Union für russisches Öl ist zwar bereits
offiziell in Kraft getreten. Aufgrund einer längeren Karenzzeit wird sie jedoch
erst in einigen­ Wochen ihre volle Wirkung entfalten. Dann werden zudem
russische Gegensanktionen, über die in Moskau derzeit nachgedacht wird, die Lage
verschärfen, und ab Februar zündet die nächste Stufe der westlichen Sanktionen
in Gestalt eines fast vollständigen Boykotts russischen Öls durch die EU. Es
wird also unweigerlich ein knapperes Angebot auf eine größere Nachfrage treffen.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich die aktuellen geopolitischen
Konflikte zu neuen akuten Krisen auswachsen. In der Ukraine wird eine wesentlich
stärkere Involvierung von Nato und EU unvermeidlich sein, wenn der Westen einen
Zusammenbruch von ukrainischer Armee und Regierung verhindern will. Damit dürfte
sich der Krieg ausweiten. Der Besuch des chinesischen Präsidenten in Riad macht
die Abkehr der Erdöl-Supermacht Saudi-Arabien vom Westen unübersehbar, was
weitreichende Reaktionen der US-Regierung nach sich ziehen wird. Jederzeit
explodieren kann auch der Konflikt des zunehmend auf China und Russland
setzenden Iran mit Israel und den USA.

Hinzu kommen weitreichende strukturelle Veränderungen am Ölmarkt, beispielsweise
die Aufgabe des Petrodollar als Hauptzahlungsmittel für Erdöl oder die
Ausbildung langfristiger Vertragsbeziehungen nach dem Vorbild des Erdgasmarktes
- Entwicklungen, die sich aufgrund der instabilen weltpolitischen Lage stark
beschleunigen können. In ein paar Monaten könnte sich somit herausstellen, dass
die aktuelle Baisse am Ölmarkt nur die Ruhe vor dem Sturm war.

(Börsen-Zeitung, 09.12.2022)

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