Reuters

"Direkt zum Friedhof" - Transplantationen in Venezuela

22.02.2018
um 07:01 Uhr

- von Alexandra Ulmer

Caracas (Reuters) - Als Yasmira Castano vor fast 20 Jahren eine neue Niere bekommt, beginnt für sie ein neues Leben.

Die junge Venezolanerin kann die High School beenden und arbeitet als Maniküristin. Doch das vergangene Jahr ändert alles. Die inzwischen 40-Jährige bekommt nicht mehr die benötigten Medikamente, die verhindern sollen, dass ihr Körper das Organ abstößt. An Heiligabend wird sie in das staatliche Krankenhaus in Venezuelas Hauptstadt Caracas gebracht: Ihr Immunsystem hat das Spenderorgan angegriffen, kurz darauf verliert sie die Niere. Nun muss Castano drei Mal die Woche zur Dialyse. Doch das Krankenhaus, das an die älteste Universität des Landes angebunden ist - einst eine der Top-Hochschulen Südamerikas - leidet häufig unter Wassermangel, zudem fehlt es an Materialien, die für die Blutwäsche benötigt werden.

"Ich liege Nächte lang wach und mache mir nur Sorgen", sagt Castano, die nur noch 35 Kilogramm wiegt. Sie liegt in einem alten Bett in einem trostlosen Krankenhauszimmer, die Wände kahl, ohne Bilder oder Fernseher. Ihre Zimmernachbarin, die 21-jährige Lismar Castellanos, formuliert es drastischer: "Leider könnte ich sterben." Castellanos verlor im vergangenen Jahr ihre Spenderniere und kämpft um die lebensnotwendige Dialyse. Die beiden Frauen gehören zu rund 3500 Transplantationspatienten in Venezuela. Nachdem sie jahrelang ein normales Leben führen konnten, leben sie nun in Angst.

Angst, weil der wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes unter Präsident Nicolas Maduro dazu geführt hat, dass Venezuela nicht mehr in der Lage ist, selbst genügend Arzneimittel herzustellen oder ausländische Medikamente zu importieren. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation CodeVida hatten im vergangenen Monat rund 35 Menschen damit zu kämpfen, dass ihr Körper das Spenderorgan wieder abstößt. Mindestens sieben Menschen seien in der vergangenen drei Monaten an Komplikationen gestorben, die auf Organversagen zurückzuführen sind. Weitere 16.000 Venezolaner warten noch auf ein Spenderorgan und sind auf Dialyse angewiesen. Aber auch hier fehlt es an Ressourcen und Materialien.

KAMPF UM KNAPPE RESSOURCEN

Fast die Hälfte der Dialysezentren in dem Land seien außer Betrieb, sagt der venezolanische Arzt und Politiker Jose Manuael Olivares. Alleine in den vergangenen drei Wochen sind nach Angaben von CodeVida sieben Menschen gestorben, da sie keine Blutwäsche hätten bekommen können. Venezuela befindet sich in einer schweren Gesundheitskrise: Einst unter Kontrolle gebrachte Krankheiten wie Diphtherie und Masern sind zurückgekehrt, teils wegen unzureichender Impfstoffe und Antibiotika. Menschen, die an Krebs oder Diabetes leiden, müssen oft auf eine Behandlung verzichten. Hunderttausende verzweifelte Venezolaner sind mittlerweile geflohen, darunter viele Mediziner.

Die Ärzte, die noch da sind, kämpfen mit immer knapperen Ressourcen. "Es ist unglaublich stressig. Wir bitten um Nachschub, aber es kommt nichts an. Wir fragen wieder nach und es kommt immer noch nichts an. Dann haben wir gemerkt, dass es nichts gibt", sagt der Nierenspezialist eines öffentlichen Krankenhauses, der anonym bleiben will. Eine Reuters-Reporterin, die beim Gesundheitsministerium nach einem Interview fragen wollte, wurde am Eingang gebeten, ihre Kontaktdaten abzugeben. Sie bekam aber keine Rückmeldung. Das für Transplantationen zuständige Referat im Gesundheitsministerium war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Öffentlich weist Maduros Regierung jede Schuld von sich. Verantwortlich für die Lage sei eine von den USA angeführte Wirtschaftselite, die die sozialistische Agenda von Venezuela sabotiere, indem sie Medikamente horte und Sanktionen verhänge. "Ich sehe den Zynismus des rechten Flügels, der sich um Menschen sorgt, die keine Dialysebehandlung bekommen können. Aber es ist ihre Schuld: Sie haben Sanktionen und eine Blockade gegen Venezuela gefordert", sagte Vizepräsident Diosdado Cabello kürzlich im venezolanischen Fernsehen.

ÄRZTE SCHMUGGELN MEDIKAMENTE INS LAND

Trotz der sich ausweitenden Krise im Gesundheitswesen hat sich Maduro geweigert, Spenden für Lebensmittel und Medikamente anzunehmen und es wird erwartet, dass er trotz seiner Unbeliebtheit bei der Präsidentschaftswahl am 22. April erneut gewinnt. Gesundheitsaktivisten und Ärzte schmuggeln derweil Medikamente in ihren Koffern in das Land, es ist bei weitem aber nicht genug. Und so nimmt Larry Zambrano, 45 und Vater von zwei Kindern, Medikamente ein, die eigentlich für Tiere zugelassen sind, um seinen Körper daran zu hindern, seine Spenderniere abzustoßen.

Guillermo Habanero und sein Bruder Emerson unterzogen sich beide einer Nierentransplantation, nachdem sie an einer polyzystischen Nierenerkrankung gelitten hatten. Emerson, ein gesunder 53-jähriger ehemaliger Polizeibeamter, starb im November nach einem Monat ohne Immunsuppressiva. "Wenn du deine Niere verlierst, gehst du zur Dialyse, aber es gibt keine Materialien. Also gehst du direkt zum Friedhof", sagt Habanero, ein 56-Jähriger, der eine kleine Computer-Reparaturwerkstatt betreibt.

Lismar Castellanos hat sich für ihren Geburtstag hübsch gemacht. Sie macht Selfies mit Freunden und spricht davon, eines Tages wieder Tanzen zu gehen - eine ihrer Leidenschaften. Eine Krankenhausmitarbeiterin kommt vorbei, um der Patientin noch viele weitere Geburtstage zu wünschen, aber ihr besorgtes Gesicht spricht Bände. "Andere Länder müssen uns helfen", sagt Catellanos.