Reuters

Riskante Dreifach-Offensive der Verteidigungsministerin

23.10.2019
um 15:32 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Das Überraschungsmoment hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf jeden Fall auf ihrer Seite: Nur einen Tag nach dem Koalitionsausschuss forderte die CDU-Chefin eine Schutzzone in Nordsyrien.

Damit überraschte sie nicht nur den Koalitionspartner SPD, sondern auch die eigenen Reihen. Denn eine Schutzzone in Syrien für die Zivilbevölkerung hatte zwar schon die EU 2016 gefordert - die Idee ist also weniger neu und umstritten als einige Politiker nun andeuten. Aber nun droht eine dauerhafte Besetzung Nordsyriens durch die Türkei. Kramp-Karrenbauer ist mit ihrem Vorstoß gleich in drei Debatten parallel in die Offensive gegangen - mit erheblichem Risiko auch für sich selbst.

DEUTSCHLAND LOCKERT DIE AUSSENPOLITISCHEN MUSKELN

Zum einen gehört der Vorstoß der Verteidigungsministerin zu einer Serie von Initiativen, die eine aktivere deutsche Außenpolitik markieren. So lässt Kanzlerin Angela Merkel derzeit einen Libyen-Gipfel in Berlin vorbereiten. Lange Zeit hatte sie anderen Akteuren wie Frankreich oder Italien den Vorrang gelassen. Aber bewegt hat sich nichts, Libyen versinkt weiter im Bürgerkrieg und ist Drehscheibe für Schlepperorganisationen. Merkel warnt immer dringlicher davor, dass sich Libyen zu einem neuen Stellvertreterkrieg wie Syrien entwickeln könnte. Denn Drittstaaten wie Russland, die Türkei, Ägypten oder die Golfstaaten beliefern nach Angaben von EU-Diplomaten unterschiedliche Konfliktparteien fleißig mit Waffen.

Deutschland gilt anders als der EU-Partner Frankreich als neutral und unbelastet in der Region - wie auch in der Sahel-Zone, wo sich Deutschland an der Seite Frankreichs immer stärker auch militärisch engagiert. Dazu kommt eine wieder verstärkte Vermittlungstätigkeit in der Ostukraine seit der neue Präsident Wolodymyr Selenskyj im Amt ist. Geplant ist bereits ein neues Spitzentreffen mit den Präsidenten Russlands, Frankreichs und der Ukraine.

DEBATTE ÜBER DIE BUNDESWEHR - KONKURRENZ ZU MAAS

Schon bei ihrem Eintritt ins Kabinett hatte Kramp-Karrenbauer angekündigt, dass sie als CDU-Chefin den Posten der Verteidigungsministerin aufwerten wolle - und dabei durchaus mehr Mitsprache als ein normales Kabinettsmitglied beansprucht. Seither pocht sie nicht nur bei jeder Gelegenheit auf die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato-Staaten bei den Verteidigungsausgaben. Dabei lässt sie keinen Zweifel, dass sie den Koalitionskompromiss, die Verteidigungsausgaben bis 2024 auf zunächst 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, eher für eine Zumutung für sich und die Nato-Partner hält als für eine überzeugende Idee.

Und schon am Wochenende hatte sich die CDU-Chefin auf dem CSU-Parteitag genervt von einer "Besorgnis"-Kultur in Deutschland gezeigt. Man kommentiere zwar gerne kritisch die außenpolitischen Fehler von anderen, habe aber keine alternativen Konzepte und Lust auf Engagement. Auch der Union fehle eine klare Orientierung. Das konnte man als Kritik sowohl an Außenminister Heiko Maas (SPD) verstehen als auch an ihrer Vorgängerin an der CDU-Spitze, Kanzlerin Merkel. Weil das Außenministerium traditionell die Federführung bei den Leitlinien der Diplomatie beansprucht, reagierte Maas am Dienstag sehr verschnupft und mit einer "gewissen Irritation".

KAMPF UM DIE STELLUNG IN DER UNION

In der Union wird darauf hingewiesen, dass Kramp-Karrenbauer auch eine innerparteiliche Wirkung mitgedacht haben dürfte. Denn in Umfragen steht die CDU-Chefin immer noch sehr schlecht da, auch wenn sich die Werte der Union in bundesweiten Umfragen wieder auf 29 Prozent verbessert haben. Aber Kramp-Karrenbauer droht in der innerparteilichen Debatte, wer nächster Kanzlerkandidat der Union werden soll, endgültig abgehängt zu werden. Mit ihrem Vorstoß für eine Schutzzone wolle Kramp-Karrenbauer nun aber eigene Fähigkeit zur Initiative, Stärke und Führung zeigen, heißt es in Unionskreisen. Sie selbst zwang ihre eigene Partei am Dienstag in die verbale Gefolgschaft. Ihr Vorschlag komme "genau zum richtigen Zeitpunkt", lobte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus.

"Ungefährlich ist ihr Vorgehen aber nicht", meint ein Mitglied im CDU-Bundesvorstand, der namentlich nicht genannt werden will. Denn die Sympathien für Auslandseinsätze der Bundeswehr sind in Deutschland laut Umfragen traditionell begrenzt. Und sollte der Vorschlag in der innerkoalitionären oder internationalen Abstimmung versanden, könne ihr das auch als Scheitern ausgelegt werden, heißt es in der Parteispitze.

Und in der SPD wird zudem warnend darauf verwiesen, dass eine Beteiligung der Bundeswehr an einem Militäreinsatz in Syrien nicht gerade eine Hilfe dabei sei, den SPD-Parteitag von einer Fortsetzung der großen Koalition zu überzeugen. Wie verärgert die Sozialdemokraten sind, zeigte der mahnende Hinweis von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der vor allem ihren Stil der fehlenden Abstimmung attackiert. "Ich finde schon, Frau Kramp-Karrenbauer muss endlich ankommen im Kabinett", sagte er.