Reuters

Ginsburgs Tod könnte US-Wahlkampf komplett neue Richtung geben

21.09.2020
um 07:27 Uhr

- von Simon Lewis und James Oliphant

Washington (Reuters) - Der Tod der liberalen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg könnte nach Ansicht von Experten dem US-Wahlkampf eine komplett neue Richtung geben.

Nun gehe es für beide Seiten nicht mehr nur darum, ob der Demokrat Joe Biden Präsident Donald Trump aus dem Weißen Haus vertreibt und dessen Republikaner vielleicht im Senat die Mehrheit verlieren. Mit einer Neubesetzung des Postens am Supreme Court stünden plötzlich grundsätzlichere Fragen wie Bürgerrechte, Einwanderung, Abtreibung und das Gesundheitssystem im Raum. Dies könne im restlichen Wahlkampf sogar die Coronavirus-Pandemie und die angeschlagene US-Wirtschaft als Kernthemen verdrängen.

"Die größte Folge für beide Seiten ist dass damit ein neuer Schwerpunkt entsteht", erklärt der demokratische Stratege Joel Payne, der 2016 für die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton arbeitete. "Jede Woche, in der Trump nicht über das Coronavirus reden muss, ist unter dem Strich für ihn positiv." Republikanische Wähler neigten dazu, dem Obersten Gericht eine große Bedeutung beizumessen. Unter Anspielung auf den linken Flügel der Demokraten sagt Payne jedoch weiter: "Ich glaube, die Progressiven verstehen besser als jemals zuvor, was bei dieser Wahl auf dem Spiel steht."

ABTREIBUNG KÖNNTE WICHTIGES WAHLKAMPFTHEMA WERDEN

Diese These wird von den Spendenzahlen für die Demokraten nach der Bekanntgabe von Ginsburgs Tod gestützt. Die wichtigste Online-Spendenplattform der Partei, ActBlue, registrierte in den darauffolgenden 19 Stunden einen vergleichsweise großen Zufluss von mehr als 60 Millionen Dollar. Das Gegenstück der Republikaner, WinRed, stellt zwar keine Live-Daten zur Verfügung. Der republikanische Berater Katon Dawson geht jedoch davon aus, dass nun gemäßigtere Republikaner für Trump stimmen könnten, die ihn eigentlich gar nicht mögen. "Das festigt diese Stimmen für ihn."

Mit dem freien Richterstuhl wird für viele auch die Abtreibungsdebatte wieder aktuell. Hintergrund ist der Gedanke, dass ein weiterer konservativer Richter die entscheidende Stimme für eine Aufhebung des zentralen Urteils Roe v. Wade von 1973 liefern könnte. Die Susan B. Anthony List, eine Gruppe von Abtreibungsgegnern, spricht von "einem Wendepunkt für die Nation im Kampf zum Schutz der Verletzlichsten, den Ungeborenen". Der Stratege Andrew Feldman, der sich auf Themen der Progressiven spezialisiert, sieht allerdings eher neues Ungemach für Trump bei den US-Wählerinnen aufziehen. "Wenn man diese Frauen in den Vorstädten fragt, was sie davon halten, dass sie sich (für oder gegen eine Abtreibung) entscheiden können - ich würde immer unsere Argumente im Vorteil sehen."