Reuters

Politiker allein zu haus - Corona-Quarantäne schlägt in EU zu

25.09.2020
um 07:12 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Am Ende traf es ausgerechnet drei Saarländer. Außenminister Heiko Maas, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans arbeiten derzeit von zu Hause, weil sie sich in freiwilliger Corona-Quarantäne befinden.

Denn ein Personenschützer des Außenminister wurde positiv getestet - und Maas sowie Hans hatten am Freitag an derselben Veranstaltung "70 Jahre Europarat" in der saarländischen Landesvertretung in Berlin teilgenommen. Altmaier wiederum war Gastgeber des informellen Treffens der EU-Handelsminister am Sonntag und Montag gewesen, an dem ein infizierter Mitarbeiter aus einem anderen EU-Land teilgenommen hatte. Beide Fälle haben eine Debatte ausgelöst, wie sinnvoll die Quarantäne-Regeln eigentlich sind - und ob die von vielen Politikern nach langer Pause dringend ersehnten physischen Treffen etwa auf EU-Ebene wirklich wieder verantwortbar sind.

Denn Altmaier hatte eigentlich das Hygiene-Konzept des informellen EU-Handelsministertreffens ausdrücklich als vorbildlich und eine "Generalprobe" für weitere Treffen gelobt. Sowohl am Sonntag als auch am Montag seien die Hygiene- und Abstandsregeln sowie die Mundschutzpflicht strikt eingehalten worden, teilt auch das Ministerium mit. Anreisende aus Risikogebieten waren verpflichtet worden, einen negativen Test vorzuweisen - was etwa die EU-Kommissare Valdis Dombrovskis und Thierry Breton betraf, die aus Brüssel kamen. Altmaier wiederum hatte als Gastgeber am Freitag extra einen gar nicht vorgeschriebenen Test machen lassen, um das Risiko einer Ansteckung weiter zu minimieren.

Aber dann stellte sich am Mittwoch heraus, dass ein Mitarbeiter aus einem anderen EU-Land positiv getestet worden war. Prompt zieht das Treffen nun im Nachhinein immer weitere Kreise: Irlands Vizeregierungschef Leo Varadkar musste in Quarantäne, weil ein irischer Mitarbeiter seines Stabes infiziert ist. Er teilt das Schicksal mit dem irischen Finanzminister, der wiederum Kontakt zu dem infizierten französischen Finanzminister Bruno le Maire hatte. Das Wirtschaftsministerium in Berlin prüft nun, ob man im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wirklich am geplanten physischen Treffen der EU-Energieminister am 5. und 6. Oktober festhalten will.

In Brüssel musste bereits der EU-Gipfel auf kommende Woche verschoben werden, weil EU-Ratspräsident Charles Michel seinerseits mit einer Person in Berührung gekommen war, die infiziert war. "Wir sind weit von Normalität im diplomatischen Geschäft entfernt", sagte ein EU-Diplomat frustriert. Und die Regeln sind nicht einheitlich: Je nachdem, in welchem europäischen Land ein Treffen stattfindet, müssen sich andere Teilnehmer vorher auf Corona testen lassen.

Kurios: Ausgerechnet die Teilnehmer am EU-Gipfel in Brüssel kommende Woche müssen aber keinen negativen Corona-Test vorweisen. "Nach belgischen Sicherheitsvorschriften ist es nicht nötig, einen negativen Test vorzuweisen, bevor man in das Land einreist", teilte eine Sprecherin des EU-Ratssekretariats auf Anfrage mit. Dagegen müssen sich deutsche Politiker testen lassen, wenn sie aus Brüssel zurückreisen - denn die belgische Hauptstadt gilt als Risikogebiet.

WER GEHT IN QUARANTÄNE?

In der Bundesregierung stellt man sich aber noch mehr Fragen. Denn wenn ein Hygienekonzept wirklich so streng ist wie bei dem EU-Handelsministerrat: Muss ein Minister dann überhaupt in Quarantäne, weil er sich nach menschlichem Ermessen eigentlich kaum bei einem Mitarbeiter einer anderen Delegation angesteckt haben kann? Während bei Maas klar ist, dass er Stunden mit seinem Leibwächter verbrachte, musste auch Saarlands Ministerpräsident Hans abwägen, was er nach einer gemeinsamen Veranstaltung machen sollte - denn es ist völlig unklar, ob er Maas' Personenschützer überhaupt begegnet war. "Es handelt sich um keine klassische Quarantänemaßnahme, sondern um eine reine Vorsichtsmaßnahme des Ministerpräsidenten", betonte der saarländische Regierungssprecher Alexander Zeyer deshalb auch am Donnerstag. Angesichts der steigenden Corona-Neuinfektionen geht es auch um Vorbildfunktionen von Politik.

Auch im Kanzleramt machte man sich Gedanken - kam aber zu dem Schluss, dass die Vorsichtsmaßnahmen auf Altmaier und Maas beschränkt bleiben sollten. Der Rest der Bundesregierung müsse trotz gemeinsamer Kabinettsitzung mit Altmaier nicht in häusliche Quarantäne, teilte ein Regierungssprecher mit. "Das Bundeskabinett tagt unter Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln, die darauf abzielen, dass auch im Falle der Teilnahme einer Person, die sich später als Covid-positiv herausstellt, eine Quarantäne anderer oder gar aller Teilnehmer nicht erforderlich wird", begründete er dies.

Als entscheidend gilt dabei auch die Unterscheidung zwischen einem Erst- und einem Zweitkontakt. Während Altmaier mit einer infizierten Person direkt in Berührung gekommen sein könnte, gälte dies für die Kanzlerin und andere Minister beim Kontakt mit dem Wirtschaftsminister aber nur mittelbar. Maas hatte an der Kabinettssitzung ohnehin nicht teilgenommen, sondern sich von Staatsministerin Michelle Müntefering vertreten lassen.