Reuters

Bayern und Bund dringen trotz Kritik auf härtere Corona-Maßnahmen

19.10.2020
um 16:47 Uhr

Berlin/München (Reuters) - Die Bundesregierung und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dringen trotz Kritik auf härtere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Regierungssprecher Steffen Seibert warnte am Montag vor einer ernsten Lage angesichts stark gestiegener Infektionszahlen. CSU-Chef Söder forderte eine bundesweite Maskenpflicht. Außerdem sprach er sich für eine Verlagerung von Kompetenzen von den Ländern auf den Bund aus. "Ich bin ein überzeugter Föderalist. Aber ich glaube, dass der Föderalismus zunehmend an seine Grenze stößt", sagte Söder in Nürnberg vor einer Videokonferenz des Parteivorstands. Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprach sich für schärfere Strafen bei Verstößen gegen Corona-Auflagen aus. Dagegen warnten der Chef der Bundesärztekammer und FDP-Chef Christian Lindner vor einer Dramatisierung der Lage.

Das Robert-Koch-Institut meldete am Montag 4325 Neuinfektionen in Deutschland innerhalb eines Tages. Weitere zwölf Menschen seien im Zusammenhang mit dem Virus gestorben. Damit ist die Kluft zwischen Neuinfektionen und Toten weiterhin sehr groß. Die Montagszahlen gelten aber nicht als besonders aussagekräftig, weil am Wochenende weniger Personen getestet werden und viele Gesundheitsämter auch Monate nach Beginn der Pandemie noch keine Zahlen am Wochenende an das RKI melden.

Der Chef der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, kritisierte eine zu starke Dramatisierung auch durch die Regierung. "Ganz so ernst kann ich die Lage aktuell nicht nachvollziehen", sagte er im Deutschlandfunk. Mit steigenden Infektionszahlen habe man im Rahmen der Pandemie rechnen müssen. "Diese Vorstellung, dass man dieses Virus ganz vertreiben kann, ist eine irrige. Wir müssen lernen, auch mit einer Durchseuchung der Bevölkerung, mit einer Zunahme der Infektionszahlen umzugehen und zu leben." Derzeit gebe es nach wie vor einen großen Überhang an Intensivkapazitäten mit rund 8800 freien Intensivbetten, zudem sei die Zahl der schweren Verläufe nach wie vor nicht so zahlreich wie im Frühjahr.

In anderen EU-Nachbarstaaten breitet sich das Virus weiter sehr schnell aus. "Wir müssen jetzt alles tun, um gegenzusteuern, und einen zweiten Lockdown für Österreich hoffentlich verhindern", sagte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz in Wien. Weil man einen Anstieg der Neuinfektionszahlen auf 6000 Corona-Fälle pro Tag fürchtet, werden nun Feiern in Lokalen oder Vereinen auf sechs Personen begrenzt, im Freien gilt eine Obergrenze von zwölf Personen. Auch die Schweiz verschärfte ihre Maßnahmen. Aus Furcht vor einer Überlastung des Gesundheitssystems plant Polen nach Regierungsangaben die Einrichtung eines Spezial-Lazaretts in Warschau. In Wales verhängte die Regionalregierung einen zweiwöchigen Lockdown. Slowenien reagiert auf zunehmende Infektionszahlen mit einer Ausgangssperre zwischen 21.00 und 06.00 Uhr.

SÖDER: INFEKTIONSSCHUTZGESETZ ÄNDERN

In Deutschland sorgen nicht nur unterschiedliche Ländermaßnahmen weiter für Diskussionen. So wird das von vielen Bundesländern geforderte negative Corona-Testergebnis für Reisende aus Risikogebieten in immer mehr Länder abgeschafft - am Montag auch in Hessen. Das Bundesverfassungsgericht muss sich dennoch mit dem in Schleswig-Holstein geltenden sogenannten "Beherbergungsverbot" für Reisende aus Corona-Risikogebieten beschäftigen. Am Montag ging ein neuer Eilantrag gegen die umstrittene Verordnung ein, wie ein Gerichtssprecher mitteilte.

Söder sprach sich dafür aus, das Infektionsschutzgesetz so zu ändern, dass der Bund mehr Kompetenzen bei der Bekämpfung von Seuchen erhält. Gesundheitsminister Jens Spahn strebt ebenfalls eine Reform an. Diese sieht unter anderem vor, dass im Krisenfall weiter mit Verordnungen regiert werden kann - der aber teilweise der Bundesrat zustimmen soll. Zudem soll der Bundestag das Recht bekommen, Verordnungen nachträglich zu streichen oder deren Geltungsdauer zu verändern. FDP-Generalsekretär Volker Wissing hatte kritisiert, dass die Regierung in der Corona-Krise mit Verordnungen zu sehr am Parlament vorbeiregiere.